Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Freiheit wollt Ihr Alle, Ihr wollt die Freiheit. Warum
schachert Ihr denn um ein Mehr oder Weniger? Die Frei¬
heit kann nur die ganze Freiheit sein; ein Stück Freiheit ist
nicht die Freiheit. Ihr verzweifelt daran, daß die ganze Frei¬
heit, die Freiheit von Allem, zu gewinnen sei, ja Ihr haltet's
für Wahnsinn, sie auch nur zu wünschen? -- Nun, so laßt
ab, dem Phantome nachzujagen, und verwendet Eure Mühe
auf etwas Besseres, als auf das -- Unerreichbare.

"Ja es giebt aber nichts Besseres als die Freiheit!"

Was habt Ihr denn, wenn Ihr die Freiheit habt, näm¬
lich -- denn von Euren brockenweisen Freiheitsstückchen will
Ich hier nicht reden -- die vollkommene Freiheit? Dann seid
Ihr Alles, Alles los, was Euch genirt, und es gäbe wohl
nichts, was Euch nicht einmal im Leben genirte und unbequem
fiele. Und um weßwillen wolltet Ihr's denn los sein? Doch
wohl um Euretwillen, darum, weil es Euch im Wege
ist! Wäre Euch aber etwas nicht unbequem, sondern im Ge¬
gentheil ganz recht, z. B. der, wenn auch sanft, unwi¬
derstehlich gebietende
Blick eurer Geliebten -- da wür¬
det Ihr nicht ihn los und davon frei sein wollen. Warum
nicht? Wieder um Euretwillen! Also Euch nehmt Ihr
zum Maaße und Richter über Alles. Ihr laßt die Freiheit
gerne laufen, wenn Euch die Unfreiheit, der "süße Liebes¬
dienst", behagt; und Ihr holt Euch eure Freiheit gelegent¬
lich wieder, wenn sie Euch besser zu behagen anfängt, vor¬
ausgesetzt nämlich, worauf es an dieser Stelle nicht ankommt,
daß Ihr Euch nicht vor einer solchen Repeal der Union aus
andern (etwa religiösen) Gründen fürchtet.

Warum wollt Ihr nun den Muth nicht fassen, Euch
wirklich ganz und gar zum Mittelpunkt und zur Hauptsache

14 *

Freiheit wollt Ihr Alle, Ihr wollt die Freiheit. Warum
ſchachert Ihr denn um ein Mehr oder Weniger? Die Frei¬
heit kann nur die ganze Freiheit ſein; ein Stück Freiheit iſt
nicht die Freiheit. Ihr verzweifelt daran, daß die ganze Frei¬
heit, die Freiheit von Allem, zu gewinnen ſei, ja Ihr haltet's
für Wahnſinn, ſie auch nur zu wünſchen? — Nun, ſo laßt
ab, dem Phantome nachzujagen, und verwendet Eure Mühe
auf etwas Beſſeres, als auf das — Unerreichbare.

„Ja es giebt aber nichts Beſſeres als die Freiheit!“

Was habt Ihr denn, wenn Ihr die Freiheit habt, näm¬
lich — denn von Euren brockenweiſen Freiheitsſtückchen will
Ich hier nicht reden — die vollkommene Freiheit? Dann ſeid
Ihr Alles, Alles los, was Euch genirt, und es gäbe wohl
nichts, was Euch nicht einmal im Leben genirte und unbequem
fiele. Und um weßwillen wolltet Ihr's denn los ſein? Doch
wohl um Euretwillen, darum, weil es Euch im Wege
iſt! Wäre Euch aber etwas nicht unbequem, ſondern im Ge¬
gentheil ganz recht, z. B. der, wenn auch ſanft, unwi¬
derſtehlich gebietende
Blick eurer Geliebten — da wür¬
det Ihr nicht ihn los und davon frei ſein wollen. Warum
nicht? Wieder um Euretwillen! Alſo Euch nehmt Ihr
zum Maaße und Richter über Alles. Ihr laßt die Freiheit
gerne laufen, wenn Euch die Unfreiheit, der „ſüße Liebes¬
dienſt“, behagt; und Ihr holt Euch eure Freiheit gelegent¬
lich wieder, wenn ſie Euch beſſer zu behagen anfängt, vor¬
ausgeſetzt nämlich, worauf es an dieſer Stelle nicht ankommt,
daß Ihr Euch nicht vor einer ſolchen Repeal der Union aus
andern (etwa religiöſen) Gründen fürchtet.

Warum wollt Ihr nun den Muth nicht faſſen, Euch
wirklich ganz und gar zum Mittelpunkt und zur Hauptſache

14 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0219" n="211"/>
          <p>Freiheit wollt Ihr Alle, Ihr wollt <hi rendition="#g">die</hi> Freiheit. Warum<lb/>
&#x017F;chachert Ihr denn um ein Mehr oder Weniger? Die Frei¬<lb/>
heit kann nur die ganze Freiheit &#x017F;ein; ein Stück Freiheit i&#x017F;t<lb/>
nicht <hi rendition="#g">die</hi> Freiheit. Ihr verzweifelt daran, daß die ganze Frei¬<lb/>
heit, die Freiheit von Allem, zu gewinnen &#x017F;ei, ja Ihr haltet's<lb/>
für Wahn&#x017F;inn, &#x017F;ie auch nur zu wün&#x017F;chen? &#x2014; Nun, &#x017F;o laßt<lb/>
ab, dem Phantome nachzujagen, und verwendet Eure Mühe<lb/>
auf etwas Be&#x017F;&#x017F;eres, als auf das &#x2014; <hi rendition="#g">Unerreichbare</hi>.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja es giebt aber nichts Be&#x017F;&#x017F;eres als die Freiheit!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Was habt Ihr denn, wenn Ihr die Freiheit habt, näm¬<lb/>
lich &#x2014; denn von Euren brockenwei&#x017F;en Freiheits&#x017F;tückchen will<lb/>
Ich hier nicht reden &#x2014; die vollkommene Freiheit? Dann &#x017F;eid<lb/>
Ihr Alles, Alles los, was Euch genirt, und es gäbe wohl<lb/>
nichts, was Euch nicht einmal im Leben genirte und unbequem<lb/>
fiele. Und um weßwillen wolltet Ihr's denn los &#x017F;ein? Doch<lb/>
wohl um <hi rendition="#g">Euretwillen</hi>, darum, weil es Euch im Wege<lb/>
i&#x017F;t! Wäre Euch aber etwas nicht unbequem, &#x017F;ondern im Ge¬<lb/>
gentheil ganz recht, z. B. der, wenn auch &#x017F;anft, <hi rendition="#g">unwi¬<lb/>
der&#x017F;tehlich gebietende</hi> Blick eurer Geliebten &#x2014; da wür¬<lb/>
det Ihr nicht ihn los und davon frei &#x017F;ein wollen. Warum<lb/>
nicht? Wieder um <hi rendition="#g">Euretwillen</hi>! Al&#x017F;o <hi rendition="#g">Euch</hi> nehmt Ihr<lb/>
zum Maaße und Richter über Alles. Ihr laßt die Freiheit<lb/>
gerne laufen, wenn <hi rendition="#g">Euch</hi> die Unfreiheit, der &#x201E;&#x017F;üße Liebes¬<lb/><hi rendition="#g">dien&#x017F;t</hi>&#x201C;, behagt; und Ihr holt Euch eure Freiheit gelegent¬<lb/>
lich wieder, wenn &#x017F;ie <hi rendition="#g">Euch</hi> be&#x017F;&#x017F;er zu behagen anfängt, vor¬<lb/>
ausge&#x017F;etzt nämlich, worauf es an die&#x017F;er Stelle nicht ankommt,<lb/>
daß Ihr Euch nicht vor einer &#x017F;olchen Repeal der Union aus<lb/>
andern (etwa religiö&#x017F;en) Gründen fürchtet.</p><lb/>
          <p>Warum wollt Ihr nun den Muth nicht fa&#x017F;&#x017F;en, <hi rendition="#g">Euch</hi><lb/>
wirklich ganz und gar zum Mittelpunkt und zur Haupt&#x017F;ache<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">14 *<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[211/0219] Freiheit wollt Ihr Alle, Ihr wollt die Freiheit. Warum ſchachert Ihr denn um ein Mehr oder Weniger? Die Frei¬ heit kann nur die ganze Freiheit ſein; ein Stück Freiheit iſt nicht die Freiheit. Ihr verzweifelt daran, daß die ganze Frei¬ heit, die Freiheit von Allem, zu gewinnen ſei, ja Ihr haltet's für Wahnſinn, ſie auch nur zu wünſchen? — Nun, ſo laßt ab, dem Phantome nachzujagen, und verwendet Eure Mühe auf etwas Beſſeres, als auf das — Unerreichbare. „Ja es giebt aber nichts Beſſeres als die Freiheit!“ Was habt Ihr denn, wenn Ihr die Freiheit habt, näm¬ lich — denn von Euren brockenweiſen Freiheitsſtückchen will Ich hier nicht reden — die vollkommene Freiheit? Dann ſeid Ihr Alles, Alles los, was Euch genirt, und es gäbe wohl nichts, was Euch nicht einmal im Leben genirte und unbequem fiele. Und um weßwillen wolltet Ihr's denn los ſein? Doch wohl um Euretwillen, darum, weil es Euch im Wege iſt! Wäre Euch aber etwas nicht unbequem, ſondern im Ge¬ gentheil ganz recht, z. B. der, wenn auch ſanft, unwi¬ derſtehlich gebietende Blick eurer Geliebten — da wür¬ det Ihr nicht ihn los und davon frei ſein wollen. Warum nicht? Wieder um Euretwillen! Alſo Euch nehmt Ihr zum Maaße und Richter über Alles. Ihr laßt die Freiheit gerne laufen, wenn Euch die Unfreiheit, der „ſüße Liebes¬ dienſt“, behagt; und Ihr holt Euch eure Freiheit gelegent¬ lich wieder, wenn ſie Euch beſſer zu behagen anfängt, vor¬ ausgeſetzt nämlich, worauf es an dieſer Stelle nicht ankommt, daß Ihr Euch nicht vor einer ſolchen Repeal der Union aus andern (etwa religiöſen) Gründen fürchtet. Warum wollt Ihr nun den Muth nicht faſſen, Euch wirklich ganz und gar zum Mittelpunkt und zur Hauptſache 14 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/219
Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/219>, abgerufen am 27.11.2024.