Müssen Wir etwa, weil die Freiheit als ein christ¬ liches Ideal sich verräth, sie aufgeben? Nein, nichts soll verloren gehen, auch die Freiheit nicht; aber sie soll unser eigen werden, und das kann sie in der Form der Freiheit nicht.
Welch ein Unterschied zwischen Freiheit und Eigenheit! Gar vieles kann man los werden, Alles wird man doch nicht los: von Vielem wird man frei, von Allem nicht. Innerlich kann man trotz des Zustandes der Sklaverei frei sein, obwohl auch wieder nur von Allerlei, nicht von Allem; aber von der Peitsche, der gebieterischen Laune u. s. w. des Herrn wird man als Sklave nicht frei. "Freiheit lebt nur in dem Reich der Träume"! Dagegen Eigenheit, das ist mein ganzes We¬ sen und Dasein, das bin Ich selbst. Frei bin Ich von Dem, was Ich los bin, Eigner von dem, was Ich in meiner Macht habe, oder dessen Ich mächtig bin. Mein eigen bin Ich jederzeit und unter allen Umständen, wenn Ich Mich zu haben verstehe und nicht an Andere wegwerfe. Das Frei¬ sein kann Ich nicht wahrhaft wollen, weil Ich's nicht ma¬ chen, nicht erschaffen kann: Ich kann es mir wünschen und darnach -- trachten, denn es bleibt ein Ideal, ein Spuk. Die Fesseln der Wirklichkeit schneiden jeden Augenblick in mein Fleisch die schärfsten Striemen. Mein eigen aber bleibe Ich. Einem Gebieter leibeigen hingegeben, denke Ich nur an Mich und meinen Vortheil; seine Schläge treffen Mich zwar: Ich bin nicht davon frei; aber Ich erdulde sie nur zu mei¬ nem Nutzen, etwa um ihn durch den Schein der Geduld zu täuschen und sicher zu machen, oder auch um nicht durch Widersetzlichkeit Aergeres Mir zuzuziehen. Da Ich aber Mich und meinen Eigennutz im Auge behalte, so fasse Ich die
Müſſen Wir etwa, weil die Freiheit als ein chriſt¬ liches Ideal ſich verräth, ſie aufgeben? Nein, nichts ſoll verloren gehen, auch die Freiheit nicht; aber ſie ſoll unſer eigen werden, und das kann ſie in der Form der Freiheit nicht.
Welch ein Unterſchied zwiſchen Freiheit und Eigenheit! Gar vieles kann man los werden, Alles wird man doch nicht los: von Vielem wird man frei, von Allem nicht. Innerlich kann man trotz des Zuſtandes der Sklaverei frei ſein, obwohl auch wieder nur von Allerlei, nicht von Allem; aber von der Peitſche, der gebieteriſchen Laune u. ſ. w. des Herrn wird man als Sklave nicht frei. „Freiheit lebt nur in dem Reich der Träume“! Dagegen Eigenheit, das iſt mein ganzes We¬ ſen und Daſein, das bin Ich ſelbſt. Frei bin Ich von Dem, was Ich los bin, Eigner von dem, was Ich in meiner Macht habe, oder deſſen Ich mächtig bin. Mein eigen bin Ich jederzeit und unter allen Umſtänden, wenn Ich Mich zu haben verſtehe und nicht an Andere wegwerfe. Das Frei¬ ſein kann Ich nicht wahrhaft wollen, weil Ich's nicht ma¬ chen, nicht erſchaffen kann: Ich kann es mir wünſchen und darnach — trachten, denn es bleibt ein Ideal, ein Spuk. Die Feſſeln der Wirklichkeit ſchneiden jeden Augenblick in mein Fleiſch die ſchärfſten Striemen. Mein eigen aber bleibe Ich. Einem Gebieter leibeigen hingegeben, denke Ich nur an Mich und meinen Vortheil; ſeine Schläge treffen Mich zwar: Ich bin nicht davon frei; aber Ich erdulde ſie nur zu mei¬ nem Nutzen, etwa um ihn durch den Schein der Geduld zu täuſchen und ſicher zu machen, oder auch um nicht durch Widerſetzlichkeit Aergeres Mir zuzuziehen. Da Ich aber Mich und meinen Eigennutz im Auge behalte, ſo faſſe Ich die
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Müſſen Wir etwa, weil die Freiheit als ein chriſt¬
liches Ideal ſich verräth, ſie aufgeben? Nein, nichts ſoll
verloren gehen, auch die Freiheit nicht; aber ſie ſoll unſer
eigen werden, und das kann ſie in der Form der Freiheit
nicht.
Welch ein Unterſchied zwiſchen Freiheit und Eigenheit!
Gar vieles kann man los werden, Alles wird man doch nicht
los: von Vielem wird man frei, von Allem nicht. Innerlich
kann man trotz des Zuſtandes der Sklaverei frei ſein, obwohl
auch wieder nur von Allerlei, nicht von Allem; aber von der
Peitſche, der gebieteriſchen Laune u. ſ. w. des Herrn wird
man als Sklave nicht frei. „Freiheit lebt nur in dem Reich
der Träume“! Dagegen Eigenheit, das iſt mein ganzes We¬
ſen und Daſein, das bin Ich ſelbſt. Frei bin Ich von Dem,
was Ich los bin, Eigner von dem, was Ich in meiner
Macht habe, oder deſſen Ich mächtig bin. Mein eigen
bin Ich jederzeit und unter allen Umſtänden, wenn Ich Mich
zu haben verſtehe und nicht an Andere wegwerfe. Das Frei¬
ſein kann Ich nicht wahrhaft wollen, weil Ich's nicht ma¬
chen, nicht erſchaffen kann: Ich kann es mir wünſchen und
darnach — trachten, denn es bleibt ein Ideal, ein Spuk.
Die Feſſeln der Wirklichkeit ſchneiden jeden Augenblick in mein
Fleiſch die ſchärfſten Striemen. Mein eigen aber bleibe
Ich. Einem Gebieter leibeigen hingegeben, denke Ich nur an
Mich und meinen Vortheil; ſeine Schläge treffen Mich zwar:
Ich bin nicht davon frei; aber Ich erdulde ſie nur zu mei¬
nem Nutzen, etwa um ihn durch den Schein der Geduld
zu täuſchen und ſicher zu machen, oder auch um nicht durch
Widerſetzlichkeit Aergeres Mir zuzuziehen. Da Ich aber Mich
und meinen Eigennutz im Auge behalte, ſo faſſe Ich die
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/215>, abgerufen am 27.11.2024.
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