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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Bedürfniß ist, und als Seelsorger denjenigen annehmen und
besolden, der ihm die Befriedigung seines Bedürfnisses am
besten zu garantiren scheint. Die Wissenschaft wird endlich
ganz aus dem Spiel gelassen." *

Was soll jedoch werden? Soll das gesellschaftliche Leben
ein Ende haben und alle Umgänglichkeit, alle Verbrüderung,
alles, was durch das Liebes- oder Societätsprincip geschaffen
wird, verschwinden?

Als ob nicht immer Einer den Andern suchen wird, weil
er ihn braucht, als ob nicht Einer in den Andern sich fügen
muß, wenn er ihn braucht. Der Unterschied ist aber der,
daß dann wirklich der Einzelne sich mit dem Einzelnen ver¬
einigt, indeß er früher durch ein Band mit ihnen verbun¬
den war: Sohn und Vater umfängt vor der Mündigkeit ein
Band, nach derselben können sie selbstständig zusammentreten,
vor ihr gehörten sie als Familienglieder zusammen (waren
die "Hörigen" der Familie), nach ihr vereinigen sie sich als
Egoisten, Sohnschaft und Vaterschaft bleiben, aber Sohn und
Vater binden sich nicht mehr daran.

Das letzte Privilegium ist in Wahrheit "der Mensch";
mit ihm sind Alle privilegirt oder belehnt. Denn, wie Bruno
Bauer selbst sagt: "Das Prilegium bleibt, wenn es auch auf
Alle ausgedehnt wird." **

So verläuft der Liberalismus in folgenden Wandlungen:

"Erstens: Der Einzelne ist nicht der Mensch, darum gilt
seine einzelne Persönlichkeit nichts: kein persönlicher Wille, keine
Willkühr, kein Befehl oder Ordonnance!

* ) Bruno Bauer: Die gute Sache der Freiheit. S. 62 - 63.
** ) Judenfrage. S. 60.

Bedürfniß iſt, und als Seelſorger denjenigen annehmen und
beſolden, der ihm die Befriedigung ſeines Bedürfniſſes am
beſten zu garantiren ſcheint. Die Wiſſenſchaft wird endlich
ganz aus dem Spiel gelaſſen.“ *

Was ſoll jedoch werden? Soll das geſellſchaftliche Leben
ein Ende haben und alle Umgänglichkeit, alle Verbrüderung,
alles, was durch das Liebes- oder Societätsprincip geſchaffen
wird, verſchwinden?

Als ob nicht immer Einer den Andern ſuchen wird, weil
er ihn braucht, als ob nicht Einer in den Andern ſich fügen
muß, wenn er ihn braucht. Der Unterſchied iſt aber der,
daß dann wirklich der Einzelne ſich mit dem Einzelnen ver¬
einigt, indeß er früher durch ein Band mit ihnen verbun¬
den war: Sohn und Vater umfängt vor der Mündigkeit ein
Band, nach derſelben können ſie ſelbſtſtändig zuſammentreten,
vor ihr gehörten ſie als Familienglieder zuſammen (waren
die „Hörigen“ der Familie), nach ihr vereinigen ſie ſich als
Egoiſten, Sohnſchaft und Vaterſchaft bleiben, aber Sohn und
Vater binden ſich nicht mehr daran.

Das letzte Privilegium iſt in Wahrheit „der Menſch“;
mit ihm ſind Alle privilegirt oder belehnt. Denn, wie Bruno
Bauer ſelbſt ſagt: „Das Prilegium bleibt, wenn es auch auf
Alle ausgedehnt wird.“ **

So verläuft der Liberalismus in folgenden Wandlungen:

„Erſtens: Der Einzelne iſt nicht der Menſch, darum gilt
ſeine einzelne Perſönlichkeit nichts: kein perſönlicher Wille, keine
Willkühr, kein Befehl oder Ordonnance!

* ) Bruno Bauer: Die gute Sache der Freiheit. S. 62 – 63.
** ) Judenfrage. S. 60.
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[180/0188] Bedürfniß iſt, und als Seelſorger denjenigen annehmen und beſolden, der ihm die Befriedigung ſeines Bedürfniſſes am beſten zu garantiren ſcheint. Die Wiſſenſchaft wird endlich ganz aus dem Spiel gelaſſen.“ * Was ſoll jedoch werden? Soll das geſellſchaftliche Leben ein Ende haben und alle Umgänglichkeit, alle Verbrüderung, alles, was durch das Liebes- oder Societätsprincip geſchaffen wird, verſchwinden? Als ob nicht immer Einer den Andern ſuchen wird, weil er ihn braucht, als ob nicht Einer in den Andern ſich fügen muß, wenn er ihn braucht. Der Unterſchied iſt aber der, daß dann wirklich der Einzelne ſich mit dem Einzelnen ver¬ einigt, indeß er früher durch ein Band mit ihnen verbun¬ den war: Sohn und Vater umfängt vor der Mündigkeit ein Band, nach derſelben können ſie ſelbſtſtändig zuſammentreten, vor ihr gehörten ſie als Familienglieder zuſammen (waren die „Hörigen“ der Familie), nach ihr vereinigen ſie ſich als Egoiſten, Sohnſchaft und Vaterſchaft bleiben, aber Sohn und Vater binden ſich nicht mehr daran. Das letzte Privilegium iſt in Wahrheit „der Menſch“; mit ihm ſind Alle privilegirt oder belehnt. Denn, wie Bruno Bauer ſelbſt ſagt: „Das Prilegium bleibt, wenn es auch auf Alle ausgedehnt wird.“ ** So verläuft der Liberalismus in folgenden Wandlungen: „Erſtens: Der Einzelne iſt nicht der Menſch, darum gilt ſeine einzelne Perſönlichkeit nichts: kein perſönlicher Wille, keine Willkühr, kein Befehl oder Ordonnance! * ) Bruno Bauer: Die gute Sache der Freiheit. S. 62 – 63. ** ) Judenfrage. S. 60.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/188>, abgerufen am 24.11.2024.