dere oder Private außer Betracht kommen, und wenn die "reine Kritik" ihre schwere Arbeit vollführt haben wird, dann wird man wissen, was alles privat ist, und was man "in seines Nichts durchbohrendem Gefühle" wird -- stehen lassen müssen.
Weil dem humanen Liberalismus Staat und Gesellschaft nicht genügt, negirt er beide und behält sie zugleich. So heißt es einmal, die Aufgabe der Zeit sei "keine politische, sondern eine sociale", und dann wird wieder für die Zukunft der "freie Staat" verheißen. In Wahrheit ist die "menschliche Gesell¬ schaft" eben beides, der allgemeinste Staat und die allgemeinste Gesellschaft. Nur gegen den beschränkten Staat wird behaup¬ tet, er mache zu viel Aufhebens von geistigen Privatinteressen (z. B. dem religiösen Glauben der Leute), und gegen die be¬ schränkte Gesellschaft, sie mache zu viel aus den materiellen Privatinteressen. Beide sollen die Privatinteressen den Privat¬ leuten überlassen, und sich als menschliche Gesellschaft allein um die allgemein menschlichen Interessen bekümmern.
Indem die Politiker den eigenen Willen, Eigenwillen oder Willkühr abzuschaffen gedachten, bemerkten sie nicht, daß durch das Eigenthum der Eigenwille eine sichere Zu¬ fluchtsstätte erhielt.
Indem die Socialisten auch das Eigenthum wegnehmen, beachten sie nicht, daß dieses sich in der Eigenheit eine Fortdauer sichert. Ist denn bloß Geld und Gut ein Eigen¬ thum, oder ist jede Meinung ein Mein, ein Eigenes?
Es muß also jede Meinung aufgehoben oder unpersön¬ lich gemacht werden. Der Person gebührt keine Meinung, sondern wie der Eigenwille auf den Staat, das Eigenthum auf die Gesellschaft übertragen wurde, so muß die Meinung
dere oder Private außer Betracht kommen, und wenn die „reine Kritik“ ihre ſchwere Arbeit vollführt haben wird, dann wird man wiſſen, was alles privat iſt, und was man „in ſeines Nichts durchbohrendem Gefühle“ wird — ſtehen laſſen müſſen.
Weil dem humanen Liberalismus Staat und Geſellſchaft nicht genügt, negirt er beide und behält ſie zugleich. So heißt es einmal, die Aufgabe der Zeit ſei „keine politiſche, ſondern eine ſociale“, und dann wird wieder für die Zukunft der „freie Staat“ verheißen. In Wahrheit iſt die „menſchliche Geſell¬ ſchaft“ eben beides, der allgemeinſte Staat und die allgemeinſte Geſellſchaft. Nur gegen den beſchränkten Staat wird behaup¬ tet, er mache zu viel Aufhebens von geiſtigen Privatintereſſen (z. B. dem religiöſen Glauben der Leute), und gegen die be¬ ſchränkte Geſellſchaft, ſie mache zu viel aus den materiellen Privatintereſſen. Beide ſollen die Privatintereſſen den Privat¬ leuten überlaſſen, und ſich als menſchliche Geſellſchaft allein um die allgemein menſchlichen Intereſſen bekümmern.
Indem die Politiker den eigenen Willen, Eigenwillen oder Willkühr abzuſchaffen gedachten, bemerkten ſie nicht, daß durch das Eigenthum der Eigenwille eine ſichere Zu¬ fluchtsſtätte erhielt.
Indem die Socialiſten auch das Eigenthum wegnehmen, beachten ſie nicht, daß dieſes ſich in der Eigenheit eine Fortdauer ſichert. Iſt denn bloß Geld und Gut ein Eigen¬ thum, oder iſt jede Meinung ein Mein, ein Eigenes?
Es muß alſo jede Meinung aufgehoben oder unperſön¬ lich gemacht werden. Der Perſon gebührt keine Meinung, ſondern wie der Eigenwille auf den Staat, das Eigenthum auf die Geſellſchaft übertragen wurde, ſo muß die Meinung
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0177"n="169"/>
dere oder Private außer Betracht kommen, und wenn die<lb/>„reine Kritik“ ihre ſchwere Arbeit vollführt haben wird, dann<lb/>
wird man wiſſen, was alles privat iſt, und was man „in<lb/>ſeines Nichts durchbohrendem Gefühle“ wird —ſtehen laſſen<lb/>
müſſen.</p><lb/><p>Weil dem humanen Liberalismus Staat und Geſellſchaft<lb/>
nicht genügt, negirt er beide und behält ſie zugleich. So heißt<lb/>
es einmal, die Aufgabe der Zeit ſei „keine politiſche, ſondern<lb/>
eine ſociale“, und dann wird wieder für die Zukunft der „freie<lb/>
Staat“ verheißen. In Wahrheit iſt die „menſchliche Geſell¬<lb/>ſchaft“ eben beides, der allgemeinſte Staat und die allgemeinſte<lb/>
Geſellſchaft. Nur gegen den beſchränkten Staat wird behaup¬<lb/>
tet, er mache zu viel Aufhebens von geiſtigen Privatintereſſen<lb/>
(z. B. dem religiöſen Glauben der Leute), und gegen die be¬<lb/>ſchränkte Geſellſchaft, ſie mache zu viel aus den materiellen<lb/>
Privatintereſſen. Beide ſollen die Privatintereſſen den Privat¬<lb/>
leuten überlaſſen, und ſich als menſchliche Geſellſchaft allein<lb/>
um die allgemein menſchlichen Intereſſen bekümmern.</p><lb/><p>Indem die Politiker den <hirendition="#g">eigenen Willen</hi>, Eigenwillen<lb/>
oder Willkühr abzuſchaffen gedachten, bemerkten ſie nicht, daß<lb/>
durch das <hirendition="#g">Eigenthum</hi> der <hirendition="#g">Eigenwille</hi> eine ſichere Zu¬<lb/>
fluchtsſtätte erhielt.</p><lb/><p>Indem die Socialiſten auch das <hirendition="#g">Eigenthum</hi> wegnehmen,<lb/>
beachten ſie nicht, daß dieſes ſich in der <hirendition="#g">Eigenheit</hi> eine<lb/>
Fortdauer ſichert. Iſt denn bloß Geld und Gut ein Eigen¬<lb/>
thum, oder iſt jede Meinung ein Mein, ein Eigenes?</p><lb/><p>Es muß alſo jede <hirendition="#g">Meinung</hi> aufgehoben oder unperſön¬<lb/>
lich gemacht werden. Der Perſon gebührt keine Meinung,<lb/>ſondern wie der Eigenwille auf den Staat, das Eigenthum<lb/>
auf die Geſellſchaft übertragen wurde, ſo muß die Meinung<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[169/0177]
dere oder Private außer Betracht kommen, und wenn die
„reine Kritik“ ihre ſchwere Arbeit vollführt haben wird, dann
wird man wiſſen, was alles privat iſt, und was man „in
ſeines Nichts durchbohrendem Gefühle“ wird — ſtehen laſſen
müſſen.
Weil dem humanen Liberalismus Staat und Geſellſchaft
nicht genügt, negirt er beide und behält ſie zugleich. So heißt
es einmal, die Aufgabe der Zeit ſei „keine politiſche, ſondern
eine ſociale“, und dann wird wieder für die Zukunft der „freie
Staat“ verheißen. In Wahrheit iſt die „menſchliche Geſell¬
ſchaft“ eben beides, der allgemeinſte Staat und die allgemeinſte
Geſellſchaft. Nur gegen den beſchränkten Staat wird behaup¬
tet, er mache zu viel Aufhebens von geiſtigen Privatintereſſen
(z. B. dem religiöſen Glauben der Leute), und gegen die be¬
ſchränkte Geſellſchaft, ſie mache zu viel aus den materiellen
Privatintereſſen. Beide ſollen die Privatintereſſen den Privat¬
leuten überlaſſen, und ſich als menſchliche Geſellſchaft allein
um die allgemein menſchlichen Intereſſen bekümmern.
Indem die Politiker den eigenen Willen, Eigenwillen
oder Willkühr abzuſchaffen gedachten, bemerkten ſie nicht, daß
durch das Eigenthum der Eigenwille eine ſichere Zu¬
fluchtsſtätte erhielt.
Indem die Socialiſten auch das Eigenthum wegnehmen,
beachten ſie nicht, daß dieſes ſich in der Eigenheit eine
Fortdauer ſichert. Iſt denn bloß Geld und Gut ein Eigen¬
thum, oder iſt jede Meinung ein Mein, ein Eigenes?
Es muß alſo jede Meinung aufgehoben oder unperſön¬
lich gemacht werden. Der Perſon gebührt keine Meinung,
ſondern wie der Eigenwille auf den Staat, das Eigenthum
auf die Geſellſchaft übertragen wurde, ſo muß die Meinung
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/177>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.