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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Sucht der Protestant im Sinnlichen selbst eine Heiligkeit
zu entdecken, um dann nur an Heiligem zu hängen, so strebt
der Katholik vielmehr, das Sinnliche von sich weg in ein be¬
sonderes Gebiet zu verweisen, wo es wie die übrige Natur
seinen Werth für sich behält. Die katholische Kirche schied aus
ihrem geweihten Stande die weltliche Ehe aus und entzog die
Ihrigen der weltlichen Familie; die protestantische erklärte die
Ehe und das Familienband für heilig und darum nicht un¬
passend für ihre Geistlichen.

Ein Jesuit darf als guter Katholik alles heiligen. Er
braucht sich z. B. nur zu sagen: Ich als Priester bin der
Kirche nothwendig, diene ihr aber eifriger, wenn Ich meine
Begierden gehörig stille; folglich will Ich dieß Mädchen ver¬
führen, meinen Feind dort vergiften lassen u. s. w.; Mein
Zweck ist heilig, weil der eines Priesters, folglich heiligt er
das Mittel. Es geschieht ja am letzten Ende doch zum Nutzen
der Kirche. Warum sollte der katholische Priester sich scheuen,
dem Kaiser Heinrich VII. die vergiftete Hostie zu reichen zum
-- Heil der Kirche?

Die ächt -- kirchlichen Protestanten eiferten gegen jedes
"unschuldige Vergnügen", weil unschuldig nur das Heilige,
das Geistige sein konnte. Worin sie nicht den heiligen Geist
nachweisen konnten, das mußten die Protestanten verwerfen:
Tanz, Theater, Prunk (z. B. in der Kirche) u. dergl.

Gegen diesen puritanischen Calvinismus ist wieder das
Lutherthum mehr auf dem religiösen, d. h. geistigen Wege, ist
radicaler. Jener nämlich schließt flugs eine Menge Dinge als
sinnlich und weltlich aus und purificirt die Kirche; das
Lutherthum hingegen sucht wo möglich in alle Dinge Geist
zu bringen, den heiligen Geist in Allem als Wesen zu erken¬

Sucht der Proteſtant im Sinnlichen ſelbſt eine Heiligkeit
zu entdecken, um dann nur an Heiligem zu hängen, ſo ſtrebt
der Katholik vielmehr, das Sinnliche von ſich weg in ein be¬
ſonderes Gebiet zu verweiſen, wo es wie die übrige Natur
ſeinen Werth für ſich behält. Die katholiſche Kirche ſchied aus
ihrem geweihten Stande die weltliche Ehe aus und entzog die
Ihrigen der weltlichen Familie; die proteſtantiſche erklärte die
Ehe und das Familienband für heilig und darum nicht un¬
paſſend für ihre Geiſtlichen.

Ein Jeſuit darf als guter Katholik alles heiligen. Er
braucht ſich z. B. nur zu ſagen: Ich als Prieſter bin der
Kirche nothwendig, diene ihr aber eifriger, wenn Ich meine
Begierden gehörig ſtille; folglich will Ich dieß Mädchen ver¬
führen, meinen Feind dort vergiften laſſen u. ſ. w.; Mein
Zweck iſt heilig, weil der eines Prieſters, folglich heiligt er
das Mittel. Es geſchieht ja am letzten Ende doch zum Nutzen
der Kirche. Warum ſollte der katholiſche Prieſter ſich ſcheuen,
dem Kaiſer Heinrich VII. die vergiftete Hoſtie zu reichen zum
— Heil der Kirche?

Die ächt — kirchlichen Proteſtanten eiferten gegen jedes
„unſchuldige Vergnügen“, weil unſchuldig nur das Heilige,
das Geiſtige ſein konnte. Worin ſie nicht den heiligen Geiſt
nachweiſen konnten, das mußten die Proteſtanten verwerfen:
Tanz, Theater, Prunk (z. B. in der Kirche) u. dergl.

Gegen dieſen puritaniſchen Calvinismus iſt wieder das
Lutherthum mehr auf dem religiöſen, d. h. geiſtigen Wege, iſt
radicaler. Jener nämlich ſchließt flugs eine Menge Dinge als
ſinnlich und weltlich aus und purificirt die Kirche; das
Lutherthum hingegen ſucht wo möglich in alle Dinge Geiſt
zu bringen, den heiligen Geiſt in Allem als Weſen zu erken¬

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[121/0129] Sucht der Proteſtant im Sinnlichen ſelbſt eine Heiligkeit zu entdecken, um dann nur an Heiligem zu hängen, ſo ſtrebt der Katholik vielmehr, das Sinnliche von ſich weg in ein be¬ ſonderes Gebiet zu verweiſen, wo es wie die übrige Natur ſeinen Werth für ſich behält. Die katholiſche Kirche ſchied aus ihrem geweihten Stande die weltliche Ehe aus und entzog die Ihrigen der weltlichen Familie; die proteſtantiſche erklärte die Ehe und das Familienband für heilig und darum nicht un¬ paſſend für ihre Geiſtlichen. Ein Jeſuit darf als guter Katholik alles heiligen. Er braucht ſich z. B. nur zu ſagen: Ich als Prieſter bin der Kirche nothwendig, diene ihr aber eifriger, wenn Ich meine Begierden gehörig ſtille; folglich will Ich dieß Mädchen ver¬ führen, meinen Feind dort vergiften laſſen u. ſ. w.; Mein Zweck iſt heilig, weil der eines Prieſters, folglich heiligt er das Mittel. Es geſchieht ja am letzten Ende doch zum Nutzen der Kirche. Warum ſollte der katholiſche Prieſter ſich ſcheuen, dem Kaiſer Heinrich VII. die vergiftete Hoſtie zu reichen zum — Heil der Kirche? Die ächt — kirchlichen Proteſtanten eiferten gegen jedes „unſchuldige Vergnügen“, weil unſchuldig nur das Heilige, das Geiſtige ſein konnte. Worin ſie nicht den heiligen Geiſt nachweiſen konnten, das mußten die Proteſtanten verwerfen: Tanz, Theater, Prunk (z. B. in der Kirche) u. dergl. Gegen dieſen puritaniſchen Calvinismus iſt wieder das Lutherthum mehr auf dem religiöſen, d. h. geiſtigen Wege, iſt radicaler. Jener nämlich ſchließt flugs eine Menge Dinge als ſinnlich und weltlich aus und purificirt die Kirche; das Lutherthum hingegen ſucht wo möglich in alle Dinge Geiſt zu bringen, den heiligen Geiſt in Allem als Weſen zu erken¬

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/129>, abgerufen am 23.11.2024.