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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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und werden nichtsnutzige Rangen!" Gemach, Ihr Unheils¬
propheten. Nichtsnutzige in eurem Sinne werden sie aller¬
dings werden: aber Euer Sinn ist eben ein sehr nichtsnutziger
Sinn. Die frechen Buben werden sich von Euch nichts mehr
einschwatzen und vorgreinen lassen und kein Mitgefühl für all
die Thorheiten haben, für welche Ihr seit Menschengedenken
schwärmt und faselt: sie werden das Erbrecht aufheben, d. h.
sie werden Eure Dummheiten nicht erben wollen, wie Ihr
sie von den Vätern geerbt habt; sie vertilgen die Erbsünde.
Wenn Ihr ihnen befehlt: Beuge Dich vor dem Höchsten --
so werden sie antworten: Wenn er Uns beugen will, so komme
er selbst und thue es; Wir wenigstens wollen Uns nicht von
freien Stücken beugen. Und wenn Ihr ihnen mit seinem Zorne
und seinen Strafen droht, so werden sie's nehmen, wie ein
Drohen mit dem Wauwau. Glückt es Euch nicht mehr, ihnen
Gespensterfurcht einzujagen, so ist die Herrschaft der Gespenster
zu Ende, und die Ammenmärchen finden keinen -- Glauben.

Und sind es nicht gerade wieder die Liberalen, die auf
eine gute Erziehung und Verbesserung des Erziehungswesens
dringen? Denn wie könnte auch ihr Liberalismus, ihre "Frei¬
heit in den Grenzen des Gesetzes" ohne Zucht zu Stande
kommen? Erziehen sie auch nicht gerade zur Gottesfurcht, so
fordern sie doch um so strenger Menschenfurcht, d. h.
Furcht vor dem Menschen, und wecken durch Zucht die "Be¬
geisterung für den wahrhaft menschlichen Beruf".


Eine lange Zeit verfloß, in welcher man sich mit dem
Wahne begnügte, die Wahrheit zu haben, ohne daß man
daran ernstlich dachte, ob man selbst vielleicht wahr sein müsse,

und werden nichtsnutzige Rangen!“ Gemach, Ihr Unheils¬
propheten. Nichtsnutzige in eurem Sinne werden ſie aller¬
dings werden: aber Euer Sinn iſt eben ein ſehr nichtsnutziger
Sinn. Die frechen Buben werden ſich von Euch nichts mehr
einſchwatzen und vorgreinen laſſen und kein Mitgefühl für all
die Thorheiten haben, für welche Ihr ſeit Menſchengedenken
ſchwärmt und faſelt: ſie werden das Erbrecht aufheben, d. h.
ſie werden Eure Dummheiten nicht erben wollen, wie Ihr
ſie von den Vätern geerbt habt; ſie vertilgen die Erbſünde.
Wenn Ihr ihnen befehlt: Beuge Dich vor dem Höchſten —
ſo werden ſie antworten: Wenn er Uns beugen will, ſo komme
er ſelbſt und thue es; Wir wenigſtens wollen Uns nicht von
freien Stücken beugen. Und wenn Ihr ihnen mit ſeinem Zorne
und ſeinen Strafen droht, ſo werden ſie's nehmen, wie ein
Drohen mit dem Wauwau. Glückt es Euch nicht mehr, ihnen
Geſpenſterfurcht einzujagen, ſo iſt die Herrſchaft der Geſpenſter
zu Ende, und die Ammenmärchen finden keinen — Glauben.

Und ſind es nicht gerade wieder die Liberalen, die auf
eine gute Erziehung und Verbeſſerung des Erziehungsweſens
dringen? Denn wie könnte auch ihr Liberalismus, ihre „Frei¬
heit in den Grenzen des Geſetzes“ ohne Zucht zu Stande
kommen? Erziehen ſie auch nicht gerade zur Gottesfurcht, ſo
fordern ſie doch um ſo ſtrenger Menſchenfurcht, d. h.
Furcht vor dem Menſchen, und wecken durch Zucht die „Be¬
geiſterung für den wahrhaft menſchlichen Beruf“.


Eine lange Zeit verfloß, in welcher man ſich mit dem
Wahne begnügte, die Wahrheit zu haben, ohne daß man
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[108/0116] und werden nichtsnutzige Rangen!“ Gemach, Ihr Unheils¬ propheten. Nichtsnutzige in eurem Sinne werden ſie aller¬ dings werden: aber Euer Sinn iſt eben ein ſehr nichtsnutziger Sinn. Die frechen Buben werden ſich von Euch nichts mehr einſchwatzen und vorgreinen laſſen und kein Mitgefühl für all die Thorheiten haben, für welche Ihr ſeit Menſchengedenken ſchwärmt und faſelt: ſie werden das Erbrecht aufheben, d. h. ſie werden Eure Dummheiten nicht erben wollen, wie Ihr ſie von den Vätern geerbt habt; ſie vertilgen die Erbſünde. Wenn Ihr ihnen befehlt: Beuge Dich vor dem Höchſten — ſo werden ſie antworten: Wenn er Uns beugen will, ſo komme er ſelbſt und thue es; Wir wenigſtens wollen Uns nicht von freien Stücken beugen. Und wenn Ihr ihnen mit ſeinem Zorne und ſeinen Strafen droht, ſo werden ſie's nehmen, wie ein Drohen mit dem Wauwau. Glückt es Euch nicht mehr, ihnen Geſpenſterfurcht einzujagen, ſo iſt die Herrſchaft der Geſpenſter zu Ende, und die Ammenmärchen finden keinen — Glauben. Und ſind es nicht gerade wieder die Liberalen, die auf eine gute Erziehung und Verbeſſerung des Erziehungsweſens dringen? Denn wie könnte auch ihr Liberalismus, ihre „Frei¬ heit in den Grenzen des Geſetzes“ ohne Zucht zu Stande kommen? Erziehen ſie auch nicht gerade zur Gottesfurcht, ſo fordern ſie doch um ſo ſtrenger Menſchenfurcht, d. h. Furcht vor dem Menſchen, und wecken durch Zucht die „Be¬ geiſterung für den wahrhaft menſchlichen Beruf“. Eine lange Zeit verfloß, in welcher man ſich mit dem Wahne begnügte, die Wahrheit zu haben, ohne daß man daran ernſtlich dachte, ob man ſelbſt vielleicht wahr ſein müſſe,

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/116>, abgerufen am 27.11.2024.