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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845.

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Dem widersetzt sich der starre Kopf des weltlichen Men¬
schen, ist aber Jahrtausende lang immer so weit wenigstens
erlegen, daß er den widerspenstigen Nacken beugen und "die
höhere Macht verehren" mußte: das Pfaffenthum drückte ihn
nieder. Hatte der weltliche Egoist Eine höhere Macht abge¬
schüttelt, z. B. das Alttestamentliche Gesetz, den römischen
Papst u. s. w., so war gleich eine siebenfach höhere wieder
über ihm, z. B. der Glaube an der Stelle des Gesetzes, die
Umwandlung aller Laien in Geistliche an Stelle des beschränk¬
ten Clerus u. s. w. Es ging ihm wie dem Besessenen, in
den sieben Teufel fuhren, als er von dem einen sich befreit zu
haben glaubte.

In der oben angeführten Stelle wird der Bürgerklasse alle
Idealität u. s. w. abgesprochen. Sie machinirte allerdings
gegen die ideale Consequenz, mit welcher Robespierre das
Princip ausführen wollte. Der Instinkt ihres Interesses sagte
ihr, daß diese Consequenz mit dem, wonach ihr der Sinn
stände, zu wenig harmonire, und daß es gegen sich selbst han¬
deln hieße, wollte sie der principiellen Begeisterung Vorschub
leisten. Sollte sie etwa sich so uneigennützig benehmen, alle
ihre Zwecke fahren zu lassen, um eine herbe Theorie zum
Triumphe zu führen? Es sagt das freilich den Pfaffen treff¬
lich zu, wenn die Leute ihrem Aufrufe Gehör geben: "Wirf
alles von Dir und folge mir nach," oder: "Verkaufe alles,
was Du hast, und gieb es den Armen, so wirst Du einen Schatz
im Himmel haben, und komm und folge mir nach." Einige
entschiedene Idealisten gehorchen diesem Rufe; die Meisten hin¬
gegen handeln wie Ananias und Sapphira, indem sie halb
pfäffisch oder religiös und halb weltlich sich betragen, Gott
und dem Mammon dienen.

Dem widerſetzt ſich der ſtarre Kopf des weltlichen Men¬
ſchen, iſt aber Jahrtauſende lang immer ſo weit wenigſtens
erlegen, daß er den widerſpenſtigen Nacken beugen und „die
höhere Macht verehren“ mußte: das Pfaffenthum drückte ihn
nieder. Hatte der weltliche Egoiſt Eine höhere Macht abge¬
ſchüttelt, z. B. das Altteſtamentliche Geſetz, den römiſchen
Papſt u. ſ. w., ſo war gleich eine ſiebenfach höhere wieder
über ihm, z. B. der Glaube an der Stelle des Geſetzes, die
Umwandlung aller Laien in Geiſtliche an Stelle des beſchränk¬
ten Clerus u. ſ. w. Es ging ihm wie dem Beſeſſenen, in
den ſieben Teufel fuhren, als er von dem einen ſich befreit zu
haben glaubte.

In der oben angeführten Stelle wird der Bürgerklaſſe alle
Idealität u. ſ. w. abgeſprochen. Sie machinirte allerdings
gegen die ideale Conſequenz, mit welcher Robespierre das
Princip ausführen wollte. Der Inſtinkt ihres Intereſſes ſagte
ihr, daß dieſe Conſequenz mit dem, wonach ihr der Sinn
ſtände, zu wenig harmonire, und daß es gegen ſich ſelbſt han¬
deln hieße, wollte ſie der principiellen Begeiſterung Vorſchub
leiſten. Sollte ſie etwa ſich ſo uneigennützig benehmen, alle
ihre Zwecke fahren zu laſſen, um eine herbe Theorie zum
Triumphe zu führen? Es ſagt das freilich den Pfaffen treff¬
lich zu, wenn die Leute ihrem Aufrufe Gehör geben: „Wirf
alles von Dir und folge mir nach,“ oder: „Verkaufe alles,
was Du haſt, und gieb es den Armen, ſo wirſt Du einen Schatz
im Himmel haben, und komm und folge mir nach.“ Einige
entſchiedene Idealiſten gehorchen dieſem Rufe; die Meiſten hin¬
gegen handeln wie Ananias und Sapphira, indem ſie halb
pfäffiſch oder religiös und halb weltlich ſich betragen, Gott
und dem Mammon dienen.

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[104/0112] Dem widerſetzt ſich der ſtarre Kopf des weltlichen Men¬ ſchen, iſt aber Jahrtauſende lang immer ſo weit wenigſtens erlegen, daß er den widerſpenſtigen Nacken beugen und „die höhere Macht verehren“ mußte: das Pfaffenthum drückte ihn nieder. Hatte der weltliche Egoiſt Eine höhere Macht abge¬ ſchüttelt, z. B. das Altteſtamentliche Geſetz, den römiſchen Papſt u. ſ. w., ſo war gleich eine ſiebenfach höhere wieder über ihm, z. B. der Glaube an der Stelle des Geſetzes, die Umwandlung aller Laien in Geiſtliche an Stelle des beſchränk¬ ten Clerus u. ſ. w. Es ging ihm wie dem Beſeſſenen, in den ſieben Teufel fuhren, als er von dem einen ſich befreit zu haben glaubte. In der oben angeführten Stelle wird der Bürgerklaſſe alle Idealität u. ſ. w. abgeſprochen. Sie machinirte allerdings gegen die ideale Conſequenz, mit welcher Robespierre das Princip ausführen wollte. Der Inſtinkt ihres Intereſſes ſagte ihr, daß dieſe Conſequenz mit dem, wonach ihr der Sinn ſtände, zu wenig harmonire, und daß es gegen ſich ſelbſt han¬ deln hieße, wollte ſie der principiellen Begeiſterung Vorſchub leiſten. Sollte ſie etwa ſich ſo uneigennützig benehmen, alle ihre Zwecke fahren zu laſſen, um eine herbe Theorie zum Triumphe zu führen? Es ſagt das freilich den Pfaffen treff¬ lich zu, wenn die Leute ihrem Aufrufe Gehör geben: „Wirf alles von Dir und folge mir nach,“ oder: „Verkaufe alles, was Du haſt, und gieb es den Armen, ſo wirſt Du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach.“ Einige entſchiedene Idealiſten gehorchen dieſem Rufe; die Meiſten hin¬ gegen handeln wie Ananias und Sapphira, indem ſie halb pfäffiſch oder religiös und halb weltlich ſich betragen, Gott und dem Mammon dienen.

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Zitationshilfe: Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/112>, abgerufen am 27.11.2024.