zu gleicher Nichtigeit herabsetzen: Ich kann es, es kann es Jeder unter Euch, der als unumschränktes Ich waltet und schafft, es kann's mit einem Worte der -- Egoist.
Vor dem Heiligen verliert man alles Machtgefühl und allen Muth: man verhält sich gegen dasselbe ohnmächtig und demüthig. Und doch ist kein Ding durch sich heilig, sondern durch Meine Heiligsprechung, durch Meinen Spruch, Mein Urtheil, Mein Kniebeugen, kurz durch Mein -- Gewissen.
Heilig ist Alles, was dem Egoisten unnahbar sein soll, unberührbar, außerhalb seiner Gewalt, d. h. über ihm: heilig mit Einem Worte jede -- Gewissenssache, denn "dieß ist Mir eine Gewissenssache" heißt eben: "dieß halte Ich heilig".
Für kleine Kinder, wie für Thiere, existirt nichts Heiliges, weil man, um dieser Vorstellung Raum zu geben, schon so weit zu Verstand gekommen sein muß, daß man Unterschiede wie: "gut und böse, berechtigt und unberechtigt" u. s. w. ma¬ chen kann; nur bei solchem Grade der Reflexion oder Verstän¬ digkeit -- dem eigentlichen Standpunkte der Religion -- kann an die Stelle der natürlichen Furcht die unnatürliche (d. h. erst durch Denken hervorgebrachte) Ehrfurcht treten, die "hei¬ lige Scheu." Es gehört dazu, daß man etwas außer sich für mächtiger, größer, berechtigter, besser u. s. w. halt, d. h. daß man die Macht eines Fremden anerkennt, also nicht bloß fühlt, sondern ausdrücklich anerkennt, d. h. einräumt, weicht, sich gefangen giebt, sich binden läßt (Hingebung, Demuth, Unterwürfigkeit, Unterthänigkeit u. s. w.). Hier spukt die ganze Gespensterschaar der "christlichen Tugenden."
zu gleicher Nichtigeit herabſetzen: Ich kann es, es kann es Jeder unter Euch, der als unumſchränktes Ich waltet und ſchafft, es kann's mit einem Worte der — Egoiſt.
Vor dem Heiligen verliert man alles Machtgefühl und allen Muth: man verhält ſich gegen daſſelbe ohnmächtig und demüthig. Und doch iſt kein Ding durch ſich heilig, ſondern durch Meine Heiligſprechung, durch Meinen Spruch, Mein Urtheil, Mein Kniebeugen, kurz durch Mein — Gewiſſen.
Heilig iſt Alles, was dem Egoiſten unnahbar ſein ſoll, unberührbar, außerhalb ſeiner Gewalt, d. h. über ihm: heilig mit Einem Worte jede — Gewiſſensſache, denn „dieß iſt Mir eine Gewiſſensſache“ heißt eben: „dieß halte Ich heilig“.
Für kleine Kinder, wie für Thiere, exiſtirt nichts Heiliges, weil man, um dieſer Vorſtellung Raum zu geben, ſchon ſo weit zu Verſtand gekommen ſein muß, daß man Unterſchiede wie: „gut und böſe, berechtigt und unberechtigt“ u. ſ. w. ma¬ chen kann; nur bei ſolchem Grade der Reflexion oder Verſtän¬ digkeit — dem eigentlichen Standpunkte der Religion — kann an die Stelle der natürlichen Furcht die unnatürliche (d. h. erſt durch Denken hervorgebrachte) Ehrfurcht treten, die „hei¬ lige Scheu.“ Es gehört dazu, daß man etwas außer ſich für mächtiger, größer, berechtigter, beſſer u. ſ. w. halt, d. h. daß man die Macht eines Fremden anerkennt, alſo nicht bloß fühlt, ſondern ausdrücklich anerkennt, d. h. einräumt, weicht, ſich gefangen giebt, ſich binden läßt (Hingebung, Demuth, Unterwürfigkeit, Unterthänigkeit u. ſ. w.). Hier ſpukt die ganze Geſpenſterſchaar der „chriſtlichen Tugenden.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0102"n="94"/>
zu gleicher Nichtigeit herabſetzen: Ich kann es, es kann es<lb/>
Jeder unter Euch, der als unumſchränktes Ich waltet und<lb/>ſchafft, es kann's mit einem Worte der —<hirendition="#g">Egoiſt</hi>.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Vor dem Heiligen verliert man alles Machtgefühl und<lb/>
allen Muth: man verhält ſich gegen daſſelbe <hirendition="#g">ohnmächtig</hi><lb/>
und <hirendition="#g">demüthig</hi>. Und doch iſt kein Ding durch ſich heilig,<lb/>ſondern durch Meine <hirendition="#g">Heiligſprechung</hi>, durch Meinen Spruch,<lb/>
Mein Urtheil, Mein Kniebeugen, kurz durch Mein — Gewiſſen.</p><lb/><p>Heilig iſt Alles, was dem Egoiſten unnahbar ſein ſoll,<lb/>
unberührbar, außerhalb ſeiner <hirendition="#g">Gewalt</hi>, d. h. über <hirendition="#g">ihm</hi>:<lb/>
heilig mit Einem Worte jede —<hirendition="#g">Gewiſſensſache</hi>, denn<lb/>„dieß iſt Mir eine Gewiſſensſache“ heißt eben: „dieß halte Ich<lb/>
heilig“.</p><lb/><p>Für kleine Kinder, wie für Thiere, exiſtirt nichts Heiliges,<lb/>
weil man, um dieſer Vorſtellung Raum zu geben, ſchon ſo<lb/>
weit zu Verſtand gekommen ſein muß, daß man Unterſchiede<lb/>
wie: „gut und böſe, berechtigt und unberechtigt“ u. ſ. w. ma¬<lb/>
chen kann; nur bei ſolchem Grade der Reflexion oder Verſtän¬<lb/>
digkeit — dem eigentlichen Standpunkte der Religion — kann<lb/>
an die Stelle der natürlichen <hirendition="#g">Furcht</hi> die unnatürliche (d. h.<lb/>
erſt durch Denken hervorgebrachte) <hirendition="#g">Ehrfurcht</hi> treten, die „hei¬<lb/>
lige Scheu.“ Es gehört dazu, daß man etwas außer ſich für<lb/>
mächtiger, größer, berechtigter, beſſer u. ſ. w. halt, d. h. daß<lb/>
man die Macht eines Fremden anerkennt, alſo nicht bloß<lb/>
fühlt, ſondern ausdrücklich anerkennt, d. h. einräumt, weicht,<lb/>ſich gefangen giebt, ſich binden läßt (Hingebung, Demuth,<lb/>
Unterwürfigkeit, Unterthänigkeit u. ſ. w.). Hier ſpukt die ganze<lb/>
Geſpenſterſchaar der „chriſtlichen Tugenden.“<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[94/0102]
zu gleicher Nichtigeit herabſetzen: Ich kann es, es kann es
Jeder unter Euch, der als unumſchränktes Ich waltet und
ſchafft, es kann's mit einem Worte der — Egoiſt.
Vor dem Heiligen verliert man alles Machtgefühl und
allen Muth: man verhält ſich gegen daſſelbe ohnmächtig
und demüthig. Und doch iſt kein Ding durch ſich heilig,
ſondern durch Meine Heiligſprechung, durch Meinen Spruch,
Mein Urtheil, Mein Kniebeugen, kurz durch Mein — Gewiſſen.
Heilig iſt Alles, was dem Egoiſten unnahbar ſein ſoll,
unberührbar, außerhalb ſeiner Gewalt, d. h. über ihm:
heilig mit Einem Worte jede — Gewiſſensſache, denn
„dieß iſt Mir eine Gewiſſensſache“ heißt eben: „dieß halte Ich
heilig“.
Für kleine Kinder, wie für Thiere, exiſtirt nichts Heiliges,
weil man, um dieſer Vorſtellung Raum zu geben, ſchon ſo
weit zu Verſtand gekommen ſein muß, daß man Unterſchiede
wie: „gut und böſe, berechtigt und unberechtigt“ u. ſ. w. ma¬
chen kann; nur bei ſolchem Grade der Reflexion oder Verſtän¬
digkeit — dem eigentlichen Standpunkte der Religion — kann
an die Stelle der natürlichen Furcht die unnatürliche (d. h.
erſt durch Denken hervorgebrachte) Ehrfurcht treten, die „hei¬
lige Scheu.“ Es gehört dazu, daß man etwas außer ſich für
mächtiger, größer, berechtigter, beſſer u. ſ. w. halt, d. h. daß
man die Macht eines Fremden anerkennt, alſo nicht bloß
fühlt, ſondern ausdrücklich anerkennt, d. h. einräumt, weicht,
ſich gefangen giebt, ſich binden läßt (Hingebung, Demuth,
Unterwürfigkeit, Unterthänigkeit u. ſ. w.). Hier ſpukt die ganze
Geſpenſterſchaar der „chriſtlichen Tugenden.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/102>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.