spricht ganz der "religiösen und rechtgläubigen Philosophie", der "constitutionellen Monarchie", dem "christlichen Staate", der "Freiheit in gewissen Schranken", der "beschränkten Pre߬ freiheit", oder in einem Bilde dem ans Krankenlager gefesselten Helden.
Erst dann hat der Mensch das Schamanenthum und sei¬ nen Spuk wirklich überwunden, wenn er nicht bloß den Ge¬ spensterglauben, sondern auch den Glauben an den Geist ab¬ zulegen die Kraft besitzt, nicht bloß den Geisterglauben, son¬ dern auch den Geistesglauben.
Wer an einen Spuk glaubt, nimmt nicht mehr das "Hereinragen einer höhern Welt" an, als wer an den Geist glaubt, und beide suchen hinter der sinnlichen Welt eine über¬ sinnliche, kurz sie erzeugen und glauben eine andere Welt, und diese andere Welt, das Erzeugniß ihres Geistes, ist eine geistige Welt: ihre Sinne fassen und wissen ja nichts von einer anderen, unsinnlichen Welt, nur ihr Geist lebt darin. Der Fortgang von diesem mongolischen Glauben an das Da¬ sein geistiger Wesen dahin, daß auch des Menschen eigent¬ liches Wesen sein Geist sei, und daß auf diesen allein, auf sein "Seelenheil" alle Sorgfalt gerichtet werden müsse, ist nicht schwer. Damit wird die Einwirkung auf den Geist, der so¬ genannte "moralische Einfluß" gesichert.
Es springt daher in die Augen, daß das Mongolenthum die vollkommene Rechtlosigkeit der Sinnlichkeit, die Unsinnlichkeit und Unnatur repräsentire, und daß die Sünde und das Sünd¬ bewußsein unsere Jahrtausende lange mongolische Plage war.
Wer aber wird auch den Geist in sein Nichts auflösen? Er, der mittelst des Geistes die Natur als das Nichtige, Endliche, Vergängliche darstellte, er kann allein auch den Geist
ſpricht ganz der „religiöſen und rechtgläubigen Philoſophie“, der „conſtitutionellen Monarchie“, dem „chriſtlichen Staate“, der „Freiheit in gewiſſen Schranken“, der „beſchränkten Pre߬ freiheit“, oder in einem Bilde dem ans Krankenlager gefeſſelten Helden.
Erſt dann hat der Menſch das Schamanenthum und ſei¬ nen Spuk wirklich überwunden, wenn er nicht bloß den Ge¬ ſpenſterglauben, ſondern auch den Glauben an den Geiſt ab¬ zulegen die Kraft beſitzt, nicht bloß den Geiſterglauben, ſon¬ dern auch den Geiſtesglauben.
Wer an einen Spuk glaubt, nimmt nicht mehr das „Hereinragen einer höhern Welt“ an, als wer an den Geiſt glaubt, und beide ſuchen hinter der ſinnlichen Welt eine über¬ ſinnliche, kurz ſie erzeugen und glauben eine andere Welt, und dieſe andere Welt, das Erzeugniß ihres Geiſtes, iſt eine geiſtige Welt: ihre Sinne faſſen und wiſſen ja nichts von einer anderen, unſinnlichen Welt, nur ihr Geiſt lebt darin. Der Fortgang von dieſem mongoliſchen Glauben an das Da¬ ſein geiſtiger Weſen dahin, daß auch des Menſchen eigent¬ liches Weſen ſein Geiſt ſei, und daß auf dieſen allein, auf ſein „Seelenheil“ alle Sorgfalt gerichtet werden müſſe, iſt nicht ſchwer. Damit wird die Einwirkung auf den Geiſt, der ſo¬ genannte „moraliſche Einfluß“ geſichert.
Es ſpringt daher in die Augen, daß das Mongolenthum die vollkommene Rechtloſigkeit der Sinnlichkeit, die Unſinnlichkeit und Unnatur repräſentire, und daß die Sünde und das Sünd¬ bewußſein unſere Jahrtauſende lange mongoliſche Plage war.
Wer aber wird auch den Geiſt in ſein Nichts auflöſen? Er, der mittelſt des Geiſtes die Natur als das Nichtige, Endliche, Vergängliche darſtellte, er kann allein auch den Geiſt
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ſpricht ganz der „religiöſen und rechtgläubigen Philoſophie“,
der „conſtitutionellen Monarchie“, dem „chriſtlichen Staate“,
der „Freiheit in gewiſſen Schranken“, der „beſchränkten Pre߬
freiheit“, oder in einem Bilde dem ans Krankenlager gefeſſelten
Helden.
Erſt dann hat der Menſch das Schamanenthum und ſei¬
nen Spuk wirklich überwunden, wenn er nicht bloß den Ge¬
ſpenſterglauben, ſondern auch den Glauben an den Geiſt ab¬
zulegen die Kraft beſitzt, nicht bloß den Geiſterglauben, ſon¬
dern auch den Geiſtesglauben.
Wer an einen Spuk glaubt, nimmt nicht mehr das
„Hereinragen einer höhern Welt“ an, als wer an den Geiſt
glaubt, und beide ſuchen hinter der ſinnlichen Welt eine über¬
ſinnliche, kurz ſie erzeugen und glauben eine andere Welt,
und dieſe andere Welt, das Erzeugniß ihres Geiſtes,
iſt eine geiſtige Welt: ihre Sinne faſſen und wiſſen ja nichts
von einer anderen, unſinnlichen Welt, nur ihr Geiſt lebt darin.
Der Fortgang von dieſem mongoliſchen Glauben an das Da¬
ſein geiſtiger Weſen dahin, daß auch des Menſchen eigent¬
liches Weſen ſein Geiſt ſei, und daß auf dieſen allein, auf
ſein „Seelenheil“ alle Sorgfalt gerichtet werden müſſe, iſt nicht
ſchwer. Damit wird die Einwirkung auf den Geiſt, der ſo¬
genannte „moraliſche Einfluß“ geſichert.
Es ſpringt daher in die Augen, daß das Mongolenthum
die vollkommene Rechtloſigkeit der Sinnlichkeit, die Unſinnlichkeit
und Unnatur repräſentire, und daß die Sünde und das Sünd¬
bewußſein unſere Jahrtauſende lange mongoliſche Plage war.
Wer aber wird auch den Geiſt in ſein Nichts auflöſen?
Er, der mittelſt des Geiſtes die Natur als das Nichtige,
Endliche, Vergängliche darſtellte, er kann allein auch den Geiſt
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Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigenthum. Leipzig, 1845, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stirner_einzige_1845/101>, abgerufen am 23.11.2024.
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