der Nähe ein Gemenge wilder riesenhafter Blöke, Platten und Trümmer, die sich drängen, und verwirrt in einander geschoben sind. Wenn ein Sommer gar heiß und lang ist, werden die Eisfelder weit hinauf entblößt, und dann schaut eine viel größere Fläche von Grün und Blau in das Thal, manche Kuppen und Räume werden entkleidet, die man sonst nur weiß erblikt hatte, der schmuzige Saum des Eises wird sichtbar, wo es Felsen, Erde und Schlamm schiebt, und viel reichlichere Wasser als sonst fließen in das Thal. Dies geht fort, bis es nach und nach wieder Herbst wird, das Wasser sich verringert, zu einer Zeit einmal ein grauer Landregen die ganze Ebene des Thales bedekt, worauf, wenn sich die Nebel von den Höhen wieder lösen, der Berg seine weiche Hülle abermals umgethan hat, und alle Felsen Kegel und Zaken in weißem Kleide da stehen. So spinnt es sich ein Jahr um das andere mit geringen Abwechslun¬ gen ab, und wird sich fort spinnen, so lange die Na¬ tur so bleibt, und auf den Bergen Schnee und in den Thälern Menschen sind. Die Bewohner des Thales heißen die geringen Veränderungen große, bemerken sie wohl, und berechnen an ihnen den Fortschritt des Jahres. Sie bezeichnen an den Entblößungen die Hize und die Ausnahmen der Sommer.
der Nähe ein Gemenge wilder rieſenhafter Blöke, Platten und Trümmer, die ſich drängen, und verwirrt in einander geſchoben ſind. Wenn ein Sommer gar heiß und lang iſt, werden die Eisfelder weit hinauf entblößt, und dann ſchaut eine viel größere Fläche von Grün und Blau in das Thal, manche Kuppen und Räume werden entkleidet, die man ſonſt nur weiß erblikt hatte, der ſchmuzige Saum des Eiſes wird ſichtbar, wo es Felſen, Erde und Schlamm ſchiebt, und viel reichlichere Waſſer als ſonſt fließen in das Thal. Dies geht fort, bis es nach und nach wieder Herbſt wird, das Waſſer ſich verringert, zu einer Zeit einmal ein grauer Landregen die ganze Ebene des Thales bedekt, worauf, wenn ſich die Nebel von den Höhen wieder löſen, der Berg ſeine weiche Hülle abermals umgethan hat, und alle Felſen Kegel und Zaken in weißem Kleide da ſtehen. So ſpinnt es ſich ein Jahr um das andere mit geringen Abwechslun¬ gen ab, und wird ſich fort ſpinnen, ſo lange die Na¬ tur ſo bleibt, und auf den Bergen Schnee und in den Thälern Menſchen ſind. Die Bewohner des Thales heißen die geringen Veränderungen große, bemerken ſie wohl, und berechnen an ihnen den Fortſchritt des Jahres. Sie bezeichnen an den Entblößungen die Hize und die Ausnahmen der Sommer.
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der Nähe ein Gemenge wilder rieſenhafter Blöke,
Platten und Trümmer, die ſich drängen, und verwirrt
in einander geſchoben ſind. Wenn ein Sommer gar
heiß und lang iſt, werden die Eisfelder weit hinauf
entblößt, und dann ſchaut eine viel größere Fläche
von Grün und Blau in das Thal, manche Kuppen
und Räume werden entkleidet, die man ſonſt nur weiß
erblikt hatte, der ſchmuzige Saum des Eiſes wird
ſichtbar, wo es Felſen, Erde und Schlamm ſchiebt,
und viel reichlichere Waſſer als ſonſt fließen in das
Thal. Dies geht fort, bis es nach und nach wieder
Herbſt wird, das Waſſer ſich verringert, zu einer Zeit
einmal ein grauer Landregen die ganze Ebene des
Thales bedekt, worauf, wenn ſich die Nebel von den
Höhen wieder löſen, der Berg ſeine weiche Hülle
abermals umgethan hat, und alle Felſen Kegel und
Zaken in weißem Kleide da ſtehen. So ſpinnt es ſich
ein Jahr um das andere mit geringen Abwechslun¬
gen ab, und wird ſich fort ſpinnen, ſo lange die Na¬
tur ſo bleibt, und auf den Bergen Schnee und in den
Thälern Menſchen ſind. Die Bewohner des Thales
heißen die geringen Veränderungen große, bemerken
ſie wohl, und berechnen an ihnen den Fortſchritt des
Jahres. Sie bezeichnen an den Entblößungen die
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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 2. Pest u. a., 1853, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine02_1853/24>, abgerufen am 21.11.2024.
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