sie Dichtungen nennen, wenn Gedanken in ihnen gewesen wären, oder wenn man Grund Ursprung und Verlauf des Ausgesprochenen hätte enträthseln können. Von einem Verständnisse, was Tod was Umirren in der Welt und sich aus Verzweiflung das Leben nehmen heiße, war keine Spur vorhanden, und doch war dieses alles der trübselige Inhalt der Ausarbeitungen. Der Ausdruk war klar und bündig, der Sazbau richtig und gut, und die Worte obwohl sinnlos waren erhaben.
Ich nahm von diesem Umstande Veranlassung, aus Dichtern oder andern Schriftstellern Säze mit bestimmter gehobner Betonung vorzutragen. Das Mädchen merkte hoch auf. Bald sagte es selber solche Dinge her, und später trug es mit einer Art Schau¬ stellung Theile aus den besten und herrlichsten Schrif¬ ten unseres Volkes vor. Wenn man aber näher in das Werk einging, von dem es eine Stelle gesagt hatte, und nach dessen Inhalt Bedeutung und Gestalt forschte, verstand es nicht, was man wollte. Auch war in der Verlassenschaft kein einziges der betreffen¬ den Bücher vorhanden. Das Aufsagen solcher Stellen war ein Reiz für das Mädchen, dem es sich schwär¬ merisch hingab. Wir kamen dahinter, daß die leisen Worte, die es zur Dohle sagte, ähnliche Dinge
ſie Dichtungen nennen, wenn Gedanken in ihnen geweſen wären, oder wenn man Grund Urſprung und Verlauf des Ausgeſprochenen hätte enträthſeln können. Von einem Verſtändniſſe, was Tod was Umirren in der Welt und ſich aus Verzweiflung das Leben nehmen heiße, war keine Spur vorhanden, und doch war dieſes alles der trübſelige Inhalt der Ausarbeitungen. Der Ausdruk war klar und bündig, der Sazbau richtig und gut, und die Worte obwohl ſinnlos waren erhaben.
Ich nahm von dieſem Umſtande Veranlaſſung, aus Dichtern oder andern Schriftſtellern Säze mit beſtimmter gehobner Betonung vorzutragen. Das Mädchen merkte hoch auf. Bald ſagte es ſelber ſolche Dinge her, und ſpäter trug es mit einer Art Schau¬ ſtellung Theile aus den beſten und herrlichſten Schrif¬ ten unſeres Volkes vor. Wenn man aber näher in das Werk einging, von dem es eine Stelle geſagt hatte, und nach deſſen Inhalt Bedeutung und Geſtalt forſchte, verſtand es nicht, was man wollte. Auch war in der Verlaſſenſchaft kein einziges der betreffen¬ den Bücher vorhanden. Das Aufſagen ſolcher Stellen war ein Reiz für das Mädchen, dem es ſich ſchwär¬ meriſch hingab. Wir kamen dahinter, daß die leiſen Worte, die es zur Dohle ſagte, ähnliche Dinge
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0277"n="264"/>ſie Dichtungen nennen, wenn Gedanken in ihnen<lb/>
geweſen wären, oder wenn man Grund Urſprung<lb/>
und Verlauf des Ausgeſprochenen hätte enträthſeln<lb/>
können. Von einem Verſtändniſſe, was Tod was<lb/>
Umirren in der Welt und ſich aus Verzweiflung das<lb/>
Leben nehmen heiße, war keine Spur vorhanden,<lb/>
und doch war dieſes alles der trübſelige Inhalt<lb/>
der Ausarbeitungen. Der Ausdruk war klar und<lb/>
bündig, der Sazbau richtig und gut, und die Worte<lb/>
obwohl ſinnlos waren erhaben.</p><lb/><p>Ich nahm von dieſem Umſtande Veranlaſſung,<lb/>
aus Dichtern oder andern Schriftſtellern Säze mit<lb/>
beſtimmter gehobner Betonung vorzutragen. Das<lb/>
Mädchen merkte hoch auf. Bald ſagte es ſelber ſolche<lb/>
Dinge her, und ſpäter trug es mit einer Art Schau¬<lb/>ſtellung Theile aus den beſten und herrlichſten Schrif¬<lb/>
ten unſeres Volkes vor. Wenn man aber näher in<lb/>
das Werk einging, von dem es eine Stelle geſagt<lb/>
hatte, und nach deſſen Inhalt Bedeutung und Geſtalt<lb/>
forſchte, verſtand es nicht, was man wollte. Auch<lb/>
war in der Verlaſſenſchaft kein einziges der betreffen¬<lb/>
den Bücher vorhanden. Das Aufſagen ſolcher Stellen<lb/>
war ein Reiz für das Mädchen, dem es ſich ſchwär¬<lb/>
meriſch hingab. Wir kamen dahinter, daß die leiſen<lb/>
Worte, die es zur Dohle ſagte, ähnliche Dinge<lb/></p></div></body></text></TEI>
[264/0277]
ſie Dichtungen nennen, wenn Gedanken in ihnen
geweſen wären, oder wenn man Grund Urſprung
und Verlauf des Ausgeſprochenen hätte enträthſeln
können. Von einem Verſtändniſſe, was Tod was
Umirren in der Welt und ſich aus Verzweiflung das
Leben nehmen heiße, war keine Spur vorhanden,
und doch war dieſes alles der trübſelige Inhalt
der Ausarbeitungen. Der Ausdruk war klar und
bündig, der Sazbau richtig und gut, und die Worte
obwohl ſinnlos waren erhaben.
Ich nahm von dieſem Umſtande Veranlaſſung,
aus Dichtern oder andern Schriftſtellern Säze mit
beſtimmter gehobner Betonung vorzutragen. Das
Mädchen merkte hoch auf. Bald ſagte es ſelber ſolche
Dinge her, und ſpäter trug es mit einer Art Schau¬
ſtellung Theile aus den beſten und herrlichſten Schrif¬
ten unſeres Volkes vor. Wenn man aber näher in
das Werk einging, von dem es eine Stelle geſagt
hatte, und nach deſſen Inhalt Bedeutung und Geſtalt
forſchte, verſtand es nicht, was man wollte. Auch
war in der Verlaſſenſchaft kein einziges der betreffen¬
den Bücher vorhanden. Das Aufſagen ſolcher Stellen
war ein Reiz für das Mädchen, dem es ſich ſchwär¬
meriſch hingab. Wir kamen dahinter, daß die leiſen
Worte, die es zur Dohle ſagte, ähnliche Dinge
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/277>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.