Garten, der aber eigentlich kein Garten war, sondern mehr ein Anger, auf dem hie und da ein Baum stand, den niemand pflegte. Hart an einem Eisengitter unseres Gartens ging der Weg vorüber, der in dem fremden Garten war. Ich sah in jenem Garten immer sehr schöne weiße Tücher und andere Wäsche auf langen Schnüren aufgehängt. Ich blikte oft theils aus meinen Fenstern theils durch das Eisengitter, wenn ich eben in dem Garten war, darauf hin. Wenn sie troken waren, wurden sie in einen Korb gesammelt, während eine Frau dabei stand, und es anordnete. Dann wurden wieder nasse aufgehängt, nachdem die Frau die zwischen Pflöken gespannten Schnüre mit einem Tuche abge¬ wischt hatte. Diese Frau war eine Wittwe. Ihr Gatte hatte ein Amt gehabt, das ihn gut nährte. Kurz nach seinem Tode war auch sein alter gütiger Herr gestor¬ ben, und der Sohn desselben hatte ein so hartes Herz, daß er der Wittwe nur so viel gab, daß sie nicht gerade verhungerte. Sie miethete daher das Gärtchen, das an unsern Garten stieß, sie mietehte auch das kleine Häuschen, welches in dem Garten stand. Mit dem Gelde, das ihr ihr Gatte hinterlassen hatte, richtete sie nun das Häuschen und den Garten dazu ein, daß sie für die Leute, welche ihr das Ver¬ trauen schenken würden, Wäsche besorgte, feine und
Stifter, Jugendschriften. I. 11
Garten, der aber eigentlich kein Garten war, ſondern mehr ein Anger, auf dem hie und da ein Baum ſtand, den niemand pflegte. Hart an einem Eiſengitter unſeres Gartens ging der Weg vorüber, der in dem fremden Garten war. Ich ſah in jenem Garten immer ſehr ſchöne weiße Tücher und andere Wäſche auf langen Schnüren aufgehängt. Ich blikte oft theils aus meinen Fenſtern theils durch das Eiſengitter, wenn ich eben in dem Garten war, darauf hin. Wenn ſie troken waren, wurden ſie in einen Korb geſammelt, während eine Frau dabei ſtand, und es anordnete. Dann wurden wieder naſſe aufgehängt, nachdem die Frau die zwiſchen Pflöken geſpannten Schnüre mit einem Tuche abge¬ wiſcht hatte. Dieſe Frau war eine Wittwe. Ihr Gatte hatte ein Amt gehabt, das ihn gut nährte. Kurz nach ſeinem Tode war auch ſein alter gütiger Herr geſtor¬ ben, und der Sohn desſelben hatte ein ſo hartes Herz, daß er der Wittwe nur ſo viel gab, daß ſie nicht gerade verhungerte. Sie miethete daher das Gärtchen, das an unſern Garten ſtieß, ſie mietehte auch das kleine Häuschen, welches in dem Garten ſtand. Mit dem Gelde, das ihr ihr Gatte hinterlaſſen hatte, richtete ſie nun das Häuschen und den Garten dazu ein, daß ſie für die Leute, welche ihr das Ver¬ trauen ſchenken würden, Wäſche beſorgte, feine und
Stifter, Jugendſchriften. I. 11
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0174"n="161"/>
Garten, der aber eigentlich kein Garten war, ſondern<lb/>
mehr ein Anger, auf dem hie und da ein Baum ſtand,<lb/>
den niemand pflegte. Hart an einem Eiſengitter unſeres<lb/>
Gartens ging der Weg vorüber, der in dem fremden<lb/>
Garten war. Ich ſah in jenem Garten immer ſehr ſchöne<lb/>
weiße Tücher und andere Wäſche auf langen Schnüren<lb/>
aufgehängt. Ich blikte oft theils aus meinen Fenſtern<lb/>
theils durch das Eiſengitter, wenn ich eben in dem<lb/>
Garten war, darauf hin. Wenn ſie troken waren,<lb/>
wurden ſie in einen Korb geſammelt, während eine<lb/>
Frau dabei ſtand, und es anordnete. Dann wurden<lb/>
wieder naſſe aufgehängt, nachdem die Frau die zwiſchen<lb/>
Pflöken geſpannten Schnüre mit einem Tuche abge¬<lb/>
wiſcht hatte. Dieſe Frau war eine Wittwe. Ihr Gatte<lb/>
hatte ein Amt gehabt, das ihn gut nährte. Kurz nach<lb/>ſeinem Tode war auch ſein alter gütiger Herr geſtor¬<lb/>
ben, und der Sohn desſelben hatte ein ſo hartes<lb/>
Herz, daß er der Wittwe nur ſo viel gab, daß ſie<lb/>
nicht gerade verhungerte. Sie miethete daher das<lb/>
Gärtchen, das an unſern Garten ſtieß, ſie mietehte<lb/>
auch das kleine Häuschen, welches in dem Garten<lb/>ſtand. Mit dem Gelde, das ihr ihr Gatte hinterlaſſen<lb/>
hatte, richtete ſie nun das Häuschen und den Garten<lb/>
dazu ein, daß ſie für die Leute, welche ihr das Ver¬<lb/>
trauen ſchenken würden, Wäſche beſorgte, feine und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Stifter, Jugendſchriften. I. 11<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[161/0174]
Garten, der aber eigentlich kein Garten war, ſondern
mehr ein Anger, auf dem hie und da ein Baum ſtand,
den niemand pflegte. Hart an einem Eiſengitter unſeres
Gartens ging der Weg vorüber, der in dem fremden
Garten war. Ich ſah in jenem Garten immer ſehr ſchöne
weiße Tücher und andere Wäſche auf langen Schnüren
aufgehängt. Ich blikte oft theils aus meinen Fenſtern
theils durch das Eiſengitter, wenn ich eben in dem
Garten war, darauf hin. Wenn ſie troken waren,
wurden ſie in einen Korb geſammelt, während eine
Frau dabei ſtand, und es anordnete. Dann wurden
wieder naſſe aufgehängt, nachdem die Frau die zwiſchen
Pflöken geſpannten Schnüre mit einem Tuche abge¬
wiſcht hatte. Dieſe Frau war eine Wittwe. Ihr Gatte
hatte ein Amt gehabt, das ihn gut nährte. Kurz nach
ſeinem Tode war auch ſein alter gütiger Herr geſtor¬
ben, und der Sohn desſelben hatte ein ſo hartes
Herz, daß er der Wittwe nur ſo viel gab, daß ſie
nicht gerade verhungerte. Sie miethete daher das
Gärtchen, das an unſern Garten ſtieß, ſie mietehte
auch das kleine Häuschen, welches in dem Garten
ſtand. Mit dem Gelde, das ihr ihr Gatte hinterlaſſen
hatte, richtete ſie nun das Häuschen und den Garten
dazu ein, daß ſie für die Leute, welche ihr das Ver¬
trauen ſchenken würden, Wäſche beſorgte, feine und
Stifter, Jugendſchriften. I. 11
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/174>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.