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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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er so krank sei. In dem ersten Augenblike war alles
in Verwirrung, dann aber wurden die Leichenvorbe¬
reitungen gemacht. Mit seinem Leichenzuge gingen
alle Armen des Stadtbezirkes, es gingen die Männer
seines Geschäftes mit seine Freunde viele Fremde die
Arbeiter seines Hauses und seine zwei Söhne. Es
wurden sehr viele Thränen geweint, wie man um
wenige Menschen des Landes weint, und die Leute
sagten, daß ein vortrefflicher Mann ein auserlesener
Bürger und ein ehrenvoller Geschäftsmann begraben
worden sei. Nach einigen Tagen wurde das Testa¬
ment eröffnet, und in demselben stand, daß wir beiden
Brüder als Erben eingesezt seien, und uns das Ge¬
schäft gemeinschaftlich zugefallen sei."

"Der Bruder sagte mir nach einiger Zeit, daß die
ganze Last des Geschäftes nun auf unsern Schultern
liege, und ich eröffnete ihm hiebei, daß ich das Latei¬
nische Griechische die Naturgeschichte die Erdbeschrei¬
bung und die Rechenkunst, worin ich damals, als wir
unterrichtet wurden, geringe Fortschritte gemacht hatte,
nachgelernt hätte, und daß ich jezt beinahe vollkommen
in diesen Dingen bewandert wäre. Er aber antwortete
mir, daß Lateinisch Griechisch und die übrigen Fächer zu
unserem Berufe nicht geradehin nothwendig seien, und
daß ich zu spät diese Mühe verwendet hätte. Ich er¬

er ſo krank ſei. In dem erſten Augenblike war alles
in Verwirrung, dann aber wurden die Leichenvorbe¬
reitungen gemacht. Mit ſeinem Leichenzuge gingen
alle Armen des Stadtbezirkes, es gingen die Männer
ſeines Geſchäftes mit ſeine Freunde viele Fremde die
Arbeiter ſeines Hauſes und ſeine zwei Söhne. Es
wurden ſehr viele Thränen geweint, wie man um
wenige Menſchen des Landes weint, und die Leute
ſagten, daß ein vortrefflicher Mann ein auserleſener
Bürger und ein ehrenvoller Geſchäftsmann begraben
worden ſei. Nach einigen Tagen wurde das Teſta¬
ment eröffnet, und in demſelben ſtand, daß wir beiden
Brüder als Erben eingeſezt ſeien, und uns das Ge¬
ſchäft gemeinſchaftlich zugefallen ſei.“

„Der Bruder ſagte mir nach einiger Zeit, daß die
ganze Laſt des Geſchäftes nun auf unſern Schultern
liege, und ich eröffnete ihm hiebei, daß ich das Latei¬
niſche Griechiſche die Naturgeſchichte die Erdbeſchrei¬
bung und die Rechenkunſt, worin ich damals, als wir
unterrichtet wurden, geringe Fortſchritte gemacht hatte,
nachgelernt hätte, und daß ich jezt beinahe vollkommen
in dieſen Dingen bewandert wäre. Er aber antwortete
mir, daß Lateiniſch Griechiſch und die übrigen Fächer zu
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[157/0170] er ſo krank ſei. In dem erſten Augenblike war alles in Verwirrung, dann aber wurden die Leichenvorbe¬ reitungen gemacht. Mit ſeinem Leichenzuge gingen alle Armen des Stadtbezirkes, es gingen die Männer ſeines Geſchäftes mit ſeine Freunde viele Fremde die Arbeiter ſeines Hauſes und ſeine zwei Söhne. Es wurden ſehr viele Thränen geweint, wie man um wenige Menſchen des Landes weint, und die Leute ſagten, daß ein vortrefflicher Mann ein auserleſener Bürger und ein ehrenvoller Geſchäftsmann begraben worden ſei. Nach einigen Tagen wurde das Teſta¬ ment eröffnet, und in demſelben ſtand, daß wir beiden Brüder als Erben eingeſezt ſeien, und uns das Ge¬ ſchäft gemeinſchaftlich zugefallen ſei.“ „Der Bruder ſagte mir nach einiger Zeit, daß die ganze Laſt des Geſchäftes nun auf unſern Schultern liege, und ich eröffnete ihm hiebei, daß ich das Latei¬ niſche Griechiſche die Naturgeſchichte die Erdbeſchrei¬ bung und die Rechenkunſt, worin ich damals, als wir unterrichtet wurden, geringe Fortſchritte gemacht hatte, nachgelernt hätte, und daß ich jezt beinahe vollkommen in dieſen Dingen bewandert wäre. Er aber antwortete mir, daß Lateiniſch Griechiſch und die übrigen Fächer zu unſerem Berufe nicht geradehin nothwendig ſeien, und daß ich zu ſpät dieſe Mühe verwendet hätte. Ich er¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/170>, abgerufen am 25.11.2024.