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Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853.

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Als ich ihm erwiederte, daß ich ihm sehr gerne
jeden Dienst erweise, der nur immer in meiner Macht
stehe, daß er nur sagen solle, was er wolle, ich würde
es gewiß thun, antwortete er: "Ich muß Ihnen, ehe
ich meine Bitte ausspreche, erst etwas erzählen. Bemer¬
ken Sie wohl, ich erzähle es nicht, weil es wichtig ist,
sondern, damit Sie sehen, wie alles so gekommen ist,
was jezt ist, und damit Sie vielleicht geneigter wer¬
den, meine Bitte zu erfüllen. Sie sind immer sehr
gut gegen mich gewesen, und Sie sind sogar neulich,
wie ich erfahren habe, in die Stadt hinaus gefahren,
um einen Arzt über meine Zustände zu befragen. Dies
gibt mir nun den Muth, mich an Sie zu wenden."

"Ich bin der Sohn eines wohlhabenden Gerbers
in unserer Hauptstadt. Mein Urgroßvater war ein
Findling aus Schwaben, und wanderte mit dem
Stabe in der Hand in unsere Stadt ein. Er lernte
das Gerbergewerbe aus Güte mildthätiger Menschen,
er besuchte dann mehrere Werkstätten, um in ihnen
zu arbeiten, er ging in verschiedene Länder, um sich
mit seinen Händen sein Brod zu verdienen, und dann
die Art kennen zu lernen, wie überall das Geschäft
betrieben wird. Unterrichtet kehrte er wieder in
unsere Stadt zurük, und arbeitete in einer ansehn¬
lichen Lederei. Dort zeichnete er sich durch seine Kennt¬

Als ich ihm erwiederte, daß ich ihm ſehr gerne
jeden Dienſt erweiſe, der nur immer in meiner Macht
ſtehe, daß er nur ſagen ſolle, was er wolle, ich würde
es gewiß thun, antwortete er: „Ich muß Ihnen, ehe
ich meine Bitte ausſpreche, erſt etwas erzählen. Bemer¬
ken Sie wohl, ich erzähle es nicht, weil es wichtig iſt,
ſondern, damit Sie ſehen, wie alles ſo gekommen iſt,
was jezt iſt, und damit Sie vielleicht geneigter wer¬
den, meine Bitte zu erfüllen. Sie ſind immer ſehr
gut gegen mich geweſen, und Sie ſind ſogar neulich,
wie ich erfahren habe, in die Stadt hinaus gefahren,
um einen Arzt über meine Zuſtände zu befragen. Dies
gibt mir nun den Muth, mich an Sie zu wenden.“

„Ich bin der Sohn eines wohlhabenden Gerbers
in unſerer Hauptſtadt. Mein Urgroßvater war ein
Findling aus Schwaben, und wanderte mit dem
Stabe in der Hand in unſere Stadt ein. Er lernte
das Gerbergewerbe aus Güte mildthätiger Menſchen,
er beſuchte dann mehrere Werkſtätten, um in ihnen
zu arbeiten, er ging in verſchiedene Länder, um ſich
mit ſeinen Händen ſein Brod zu verdienen, und dann
die Art kennen zu lernen, wie überall das Geſchäft
betrieben wird. Unterrichtet kehrte er wieder in
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[141/0154] Als ich ihm erwiederte, daß ich ihm ſehr gerne jeden Dienſt erweiſe, der nur immer in meiner Macht ſtehe, daß er nur ſagen ſolle, was er wolle, ich würde es gewiß thun, antwortete er: „Ich muß Ihnen, ehe ich meine Bitte ausſpreche, erſt etwas erzählen. Bemer¬ ken Sie wohl, ich erzähle es nicht, weil es wichtig iſt, ſondern, damit Sie ſehen, wie alles ſo gekommen iſt, was jezt iſt, und damit Sie vielleicht geneigter wer¬ den, meine Bitte zu erfüllen. Sie ſind immer ſehr gut gegen mich geweſen, und Sie ſind ſogar neulich, wie ich erfahren habe, in die Stadt hinaus gefahren, um einen Arzt über meine Zuſtände zu befragen. Dies gibt mir nun den Muth, mich an Sie zu wenden.“ „Ich bin der Sohn eines wohlhabenden Gerbers in unſerer Hauptſtadt. Mein Urgroßvater war ein Findling aus Schwaben, und wanderte mit dem Stabe in der Hand in unſere Stadt ein. Er lernte das Gerbergewerbe aus Güte mildthätiger Menſchen, er beſuchte dann mehrere Werkſtätten, um in ihnen zu arbeiten, er ging in verſchiedene Länder, um ſich mit ſeinen Händen ſein Brod zu verdienen, und dann die Art kennen zu lernen, wie überall das Geſchäft betrieben wird. Unterrichtet kehrte er wieder in unſere Stadt zurük, und arbeitete in einer anſehn¬ lichen Lederei. Dort zeichnete er ſich durch ſeine Kennt¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Bunte Steine. Bd. 1. Pest u. a., 1853, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_steine01_1853/154>, abgerufen am 22.11.2024.