hatte wirken können. Diese Menschen bauten vergäng¬ liche Werke und waren nicht Künstler, während das durch die wirkliche Macht der Kunst Geschaffene, weil es die reine Blüthe der Menschheit ist, nach allen Zei¬ ten wirkt und entzückt, so lange die Menschen nicht ihr Köstlichstes, die Menschheit, weggeworfen haben."
"Es ist einmal in der Stadt die Frage gestellt worden," sagte ich, "ob ein Künstler, wenn er wüßte, daß sein Werk, das er beabsichtigt, zwar ein unüber¬ troffenes Meisterwerk sein wird, daß es aber die Mit¬ welt nicht versteht, und daß es auch keine Nachwelt verstehen wird, es doch schaffen müsse oder nicht. Einige meinten, es sei groß, wenn er es thäte, er thue es für sich, er sei seine Mit- und Nachwelt. An¬ dere sagten, wenn er etwas schaffe, von dem er wisse, daß es die Mitwelt nicht verstehe, so sei er schon thöricht, und vollends, wenn er es schaffe und weiß, daß auch keine Nachwelt es begreifen wird."
"Dieser Fall wird wohl kaum sein," antwortete mein Gastfreund, "der Künstler macht sein Werk, wie die Blume blüht, sie blüht, wenn sie auch in der Wüste ist, und nie ein Auge auf sie fällt. Der wahre Künstler stellt sich die Frage gar nicht, ob sein Werk verstanden werden wird oder nicht. Ihm ist klar und
hatte wirken können. Dieſe Menſchen bauten vergäng¬ liche Werke und waren nicht Künſtler, während das durch die wirkliche Macht der Kunſt Geſchaffene, weil es die reine Blüthe der Menſchheit iſt, nach allen Zei¬ ten wirkt und entzückt, ſo lange die Menſchen nicht ihr Köſtlichſtes, die Menſchheit, weggeworfen haben.“
„Es iſt einmal in der Stadt die Frage geſtellt worden,“ ſagte ich, „ob ein Künſtler, wenn er wüßte, daß ſein Werk, das er beabſichtigt, zwar ein unüber¬ troffenes Meiſterwerk ſein wird, daß es aber die Mit¬ welt nicht verſteht, und daß es auch keine Nachwelt verſtehen wird, es doch ſchaffen müſſe oder nicht. Einige meinten, es ſei groß, wenn er es thäte, er thue es für ſich, er ſei ſeine Mit- und Nachwelt. An¬ dere ſagten, wenn er etwas ſchaffe, von dem er wiſſe, daß es die Mitwelt nicht verſtehe, ſo ſei er ſchon thöricht, und vollends, wenn er es ſchaffe und weiß, daß auch keine Nachwelt es begreifen wird.“
„Dieſer Fall wird wohl kaum ſein,“ antwortete mein Gaſtfreund, „der Künſtler macht ſein Werk, wie die Blume blüht, ſie blüht, wenn ſie auch in der Wüſte iſt, und nie ein Auge auf ſie fällt. Der wahre Künſtler ſtellt ſich die Frage gar nicht, ob ſein Werk verſtanden werden wird oder nicht. Ihm iſt klar und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0099"n="85"/>
hatte wirken können. Dieſe Menſchen bauten vergäng¬<lb/>
liche Werke und waren nicht Künſtler, während das<lb/>
durch die wirkliche Macht der Kunſt Geſchaffene, weil<lb/>
es die reine Blüthe der Menſchheit iſt, nach allen Zei¬<lb/>
ten wirkt und entzückt, ſo lange die Menſchen nicht ihr<lb/>
Köſtlichſtes, die Menſchheit, weggeworfen haben.“</p><lb/><p>„Es iſt einmal in der Stadt die Frage geſtellt<lb/>
worden,“ſagte ich, „ob ein Künſtler, wenn er wüßte,<lb/>
daß ſein Werk, das er beabſichtigt, zwar ein unüber¬<lb/>
troffenes Meiſterwerk ſein wird, daß es aber die Mit¬<lb/>
welt nicht verſteht, und daß es auch keine Nachwelt<lb/>
verſtehen wird, es doch ſchaffen müſſe oder nicht.<lb/>
Einige meinten, es ſei groß, wenn er es thäte, er<lb/>
thue es für ſich, er ſei ſeine Mit- und Nachwelt. An¬<lb/>
dere ſagten, wenn er etwas ſchaffe, von dem er wiſſe,<lb/>
daß es die Mitwelt nicht verſtehe, ſo ſei er ſchon<lb/>
thöricht, und vollends, wenn er es ſchaffe und weiß,<lb/>
daß auch keine Nachwelt es begreifen wird.“</p><lb/><p>„Dieſer Fall wird wohl kaum ſein,“ antwortete<lb/>
mein Gaſtfreund, „der Künſtler macht ſein Werk, wie<lb/>
die Blume blüht, ſie blüht, wenn ſie auch in der<lb/>
Wüſte iſt, und nie ein Auge auf ſie fällt. Der wahre<lb/>
Künſtler ſtellt ſich die Frage gar nicht, ob ſein Werk<lb/>
verſtanden werden wird oder nicht. Ihm iſt klar und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[85/0099]
hatte wirken können. Dieſe Menſchen bauten vergäng¬
liche Werke und waren nicht Künſtler, während das
durch die wirkliche Macht der Kunſt Geſchaffene, weil
es die reine Blüthe der Menſchheit iſt, nach allen Zei¬
ten wirkt und entzückt, ſo lange die Menſchen nicht ihr
Köſtlichſtes, die Menſchheit, weggeworfen haben.“
„Es iſt einmal in der Stadt die Frage geſtellt
worden,“ ſagte ich, „ob ein Künſtler, wenn er wüßte,
daß ſein Werk, das er beabſichtigt, zwar ein unüber¬
troffenes Meiſterwerk ſein wird, daß es aber die Mit¬
welt nicht verſteht, und daß es auch keine Nachwelt
verſtehen wird, es doch ſchaffen müſſe oder nicht.
Einige meinten, es ſei groß, wenn er es thäte, er
thue es für ſich, er ſei ſeine Mit- und Nachwelt. An¬
dere ſagten, wenn er etwas ſchaffe, von dem er wiſſe,
daß es die Mitwelt nicht verſtehe, ſo ſei er ſchon
thöricht, und vollends, wenn er es ſchaffe und weiß,
daß auch keine Nachwelt es begreifen wird.“
„Dieſer Fall wird wohl kaum ſein,“ antwortete
mein Gaſtfreund, „der Künſtler macht ſein Werk, wie
die Blume blüht, ſie blüht, wenn ſie auch in der
Wüſte iſt, und nie ein Auge auf ſie fällt. Der wahre
Künſtler ſtellt ſich die Frage gar nicht, ob ſein Werk
verſtanden werden wird oder nicht. Ihm iſt klar und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/99>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.