Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

aber liebe ehrwürdige Männer waren beide. Sie
reichten sich die Hand, sahen sich einen Augenblick
an, und schüttelten sich dann ihre Rechte herzlich.

"Seid mir gegrüßt, seid mir tausendmal gegrüßt
an meiner Schwelle," sagte mein Gastfreund, "selten
ist hier einer eingegangen, der so willkommen gewesen
wäre wie ihr, und selten habe ich mich nach jemanden
so gesehnt wie nach euch. Wir sind nun so lange in
Verbindung und ich habe euch schon so lange in der
Liebe eures Sohnes geliebt."

"Ich euch in der Liebe eures jungen Freundes,"
erwiederte mein Vater, "es ist einer meiner liebsten
Tage, der mich unter dieses Dach bringt. Ich komme
in das Haus des Mannes, den ich durch meinen
Sohn kenne, obgleich ich auch den Staatsmann hoch¬
achten muß. Ich komme mit der Schuld des Dankes
belastet. Ihr habt mich ausgezeichnet, ehe ich es
nur im geringsten Maße um euch verdient hatte."

"Laßt das jezt, es machte mir ja selber Freude,"
entgegnete mein Gastfreund, "aber seht, so begeht
man Fehler, wenn man von einer Leidenschaft befan¬
gen ist, besonders, wenn zwei alte Alterthumsfreunde
zusammentreffen. Ich habe versäumt, eurer verehrten
Gattin meinen ersten Gruß darzubringen, wie es

aber liebe ehrwürdige Männer waren beide. Sie
reichten ſich die Hand, ſahen ſich einen Augenblick
an, und ſchüttelten ſich dann ihre Rechte herzlich.

„Seid mir gegrüßt, ſeid mir tauſendmal gegrüßt
an meiner Schwelle,“ ſagte mein Gaſtfreund, „ſelten
iſt hier einer eingegangen, der ſo willkommen geweſen
wäre wie ihr, und ſelten habe ich mich nach jemanden
ſo geſehnt wie nach euch. Wir ſind nun ſo lange in
Verbindung und ich habe euch ſchon ſo lange in der
Liebe eures Sohnes geliebt.“

„Ich euch in der Liebe eures jungen Freundes,“
erwiederte mein Vater, „es iſt einer meiner liebſten
Tage, der mich unter dieſes Dach bringt. Ich komme
in das Haus des Mannes, den ich durch meinen
Sohn kenne, obgleich ich auch den Staatsmann hoch¬
achten muß. Ich komme mit der Schuld des Dankes
belaſtet. Ihr habt mich ausgezeichnet, ehe ich es
nur im geringſten Maße um euch verdient hatte.“

„Laßt das jezt, es machte mir ja ſelber Freude,“
entgegnete mein Gaſtfreund, „aber ſeht, ſo begeht
man Fehler, wenn man von einer Leidenſchaft befan¬
gen iſt, beſonders, wenn zwei alte Alterthumsfreunde
zuſammentreffen. Ich habe verſäumt, eurer verehrten
Gattin meinen erſten Gruß darzubringen, wie es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0389" n="375"/>
aber liebe ehrwürdige Männer waren beide. Sie<lb/>
reichten &#x017F;ich die Hand, &#x017F;ahen &#x017F;ich einen Augenblick<lb/>
an, und &#x017F;chüttelten &#x017F;ich dann ihre Rechte herzlich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Seid mir gegrüßt, &#x017F;eid mir tau&#x017F;endmal gegrüßt<lb/>
an meiner Schwelle,&#x201C; &#x017F;agte mein Ga&#x017F;tfreund, &#x201E;&#x017F;elten<lb/>
i&#x017F;t hier einer eingegangen, der &#x017F;o willkommen gewe&#x017F;en<lb/>
wäre wie ihr, und &#x017F;elten habe ich mich nach jemanden<lb/>
&#x017F;o ge&#x017F;ehnt wie nach euch. Wir &#x017F;ind nun &#x017F;o lange in<lb/>
Verbindung und ich habe euch &#x017F;chon &#x017F;o lange in der<lb/>
Liebe eures Sohnes geliebt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich euch in der Liebe eures jungen Freundes,&#x201C;<lb/>
erwiederte mein Vater, &#x201E;es i&#x017F;t einer meiner lieb&#x017F;ten<lb/>
Tage, der mich unter die&#x017F;es Dach bringt. Ich komme<lb/>
in das Haus des Mannes, den ich durch meinen<lb/>
Sohn kenne, obgleich ich auch den Staatsmann hoch¬<lb/>
achten muß. Ich komme mit der Schuld des Dankes<lb/>
bela&#x017F;tet. Ihr habt mich ausgezeichnet, ehe ich es<lb/>
nur im gering&#x017F;ten Maße um euch verdient hatte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Laßt das jezt, es machte mir ja &#x017F;elber Freude,&#x201C;<lb/>
entgegnete mein Ga&#x017F;tfreund, &#x201E;aber &#x017F;eht, &#x017F;o begeht<lb/>
man Fehler, wenn man von einer Leiden&#x017F;chaft befan¬<lb/>
gen i&#x017F;t, be&#x017F;onders, wenn zwei alte Alterthumsfreunde<lb/>
zu&#x017F;ammentreffen. Ich habe ver&#x017F;äumt, eurer verehrten<lb/>
Gattin meinen er&#x017F;ten Gruß darzubringen, wie es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[375/0389] aber liebe ehrwürdige Männer waren beide. Sie reichten ſich die Hand, ſahen ſich einen Augenblick an, und ſchüttelten ſich dann ihre Rechte herzlich. „Seid mir gegrüßt, ſeid mir tauſendmal gegrüßt an meiner Schwelle,“ ſagte mein Gaſtfreund, „ſelten iſt hier einer eingegangen, der ſo willkommen geweſen wäre wie ihr, und ſelten habe ich mich nach jemanden ſo geſehnt wie nach euch. Wir ſind nun ſo lange in Verbindung und ich habe euch ſchon ſo lange in der Liebe eures Sohnes geliebt.“ „Ich euch in der Liebe eures jungen Freundes,“ erwiederte mein Vater, „es iſt einer meiner liebſten Tage, der mich unter dieſes Dach bringt. Ich komme in das Haus des Mannes, den ich durch meinen Sohn kenne, obgleich ich auch den Staatsmann hoch¬ achten muß. Ich komme mit der Schuld des Dankes belaſtet. Ihr habt mich ausgezeichnet, ehe ich es nur im geringſten Maße um euch verdient hatte.“ „Laßt das jezt, es machte mir ja ſelber Freude,“ entgegnete mein Gaſtfreund, „aber ſeht, ſo begeht man Fehler, wenn man von einer Leidenſchaft befan¬ gen iſt, beſonders, wenn zwei alte Alterthumsfreunde zuſammentreffen. Ich habe verſäumt, eurer verehrten Gattin meinen erſten Gruß darzubringen, wie es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/389
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/389>, abgerufen am 25.11.2024.