Trauer von Vater und Mutter müßte auch ein Bund der Trauer sein, er wäre ein ewiger Stachel, und euer ernstes oder bekümmertes Antliz würde ein unvertilgbarer Vorwurf sein. Darum ist der Bund, und wäre er der berechtigteste, aus, er ist aus auf so lange, als die Eltern ihm nicht beistimmen können. Eure ungehorsame Tochter würde ich nicht so unaus¬ sprechlich lieben können, wie ich sie jezt liebe, eure gehorsame werde ich ehren und mit tiefster Seele, wie fern ich auch sein mag, lieben, so lange ich lebe. Wir werden daher das Band lösen, wie schmerzhaft die Lösung auch sein mag. -- O Mutter, Mutter! -- laßt euch diesen Namen zum ersten und vielleicht auch zum lezten Male geben -- der Schmerz ist so groß, daß ihn keine Zunge aussprechen kann, und daß ich mir seine Größe nie vorzustellen vermocht habe.""
""Ich erkenne es,"" antwortete sie, ""und darum ist ja der Kummer, den ich und mein Gatte empfin¬ den, so groß, daß wir unserem theuren Kinde und euch, den wir auch lieben, die Seelenkränkung nicht ersparen können.""
""Ich werde morgen Mathilden sagen,"" erwie¬ derte ich, ""daß sie ihrem Vater und ihrer Mutter gehorchen müsse. Heute erlaubt mir, verehrte Frau,
Trauer von Vater und Mutter müßte auch ein Bund der Trauer ſein, er wäre ein ewiger Stachel, und euer ernſtes oder bekümmertes Antliz würde ein unvertilgbarer Vorwurf ſein. Darum iſt der Bund, und wäre er der berechtigteſte, aus, er iſt aus auf ſo lange, als die Eltern ihm nicht beiſtimmen können. Eure ungehorſame Tochter würde ich nicht ſo unaus¬ ſprechlich lieben können, wie ich ſie jezt liebe, eure gehorſame werde ich ehren und mit tiefſter Seele, wie fern ich auch ſein mag, lieben, ſo lange ich lebe. Wir werden daher das Band löſen, wie ſchmerzhaft die Löſung auch ſein mag. — O Mutter, Mutter! — laßt euch dieſen Namen zum erſten und vielleicht auch zum lezten Male geben — der Schmerz iſt ſo groß, daß ihn keine Zunge ausſprechen kann, und daß ich mir ſeine Größe nie vorzuſtellen vermocht habe.““
„„Ich erkenne es,““ antwortete ſie, „„und darum iſt ja der Kummer, den ich und mein Gatte empfin¬ den, ſo groß, daß wir unſerem theuren Kinde und euch, den wir auch lieben, die Seelenkränkung nicht erſparen können.““
„„Ich werde morgen Mathilden ſagen,““ erwie¬ derte ich, „„daß ſie ihrem Vater und ihrer Mutter gehorchen müſſe. Heute erlaubt mir, verehrte Frau,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0330"n="316"/>
Trauer von Vater und Mutter müßte auch ein Bund<lb/>
der Trauer ſein, er wäre ein ewiger Stachel, und<lb/>
euer ernſtes oder bekümmertes Antliz würde ein<lb/>
unvertilgbarer Vorwurf ſein. Darum iſt der Bund,<lb/>
und wäre er der berechtigteſte, aus, er iſt aus auf ſo<lb/>
lange, als die Eltern ihm nicht beiſtimmen können.<lb/>
Eure ungehorſame Tochter würde ich nicht ſo unaus¬<lb/>ſprechlich lieben können, wie ich ſie jezt liebe, eure<lb/>
gehorſame werde ich ehren und mit tiefſter Seele, wie<lb/>
fern ich auch ſein mag, lieben, ſo lange ich lebe. Wir<lb/>
werden daher das Band löſen, wie ſchmerzhaft die<lb/>
Löſung auch ſein mag. — O Mutter, Mutter! —<lb/>
laßt euch dieſen Namen zum erſten und vielleicht auch<lb/>
zum lezten Male geben — der Schmerz iſt ſo groß,<lb/>
daß ihn keine Zunge ausſprechen kann, und daß ich<lb/>
mir ſeine Größe nie vorzuſtellen vermocht habe.““</p><lb/><p>„„Ich erkenne es,““ antwortete ſie, „„und darum<lb/>
iſt ja der Kummer, den ich und mein Gatte empfin¬<lb/>
den, ſo groß, daß wir unſerem theuren Kinde und<lb/>
euch, den wir auch lieben, die Seelenkränkung nicht<lb/>
erſparen können.““</p><lb/><p>„„Ich werde morgen Mathilden ſagen,““ erwie¬<lb/>
derte ich, „„daß ſie ihrem Vater und ihrer Mutter<lb/>
gehorchen müſſe. Heute erlaubt mir, verehrte Frau,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[316/0330]
Trauer von Vater und Mutter müßte auch ein Bund
der Trauer ſein, er wäre ein ewiger Stachel, und
euer ernſtes oder bekümmertes Antliz würde ein
unvertilgbarer Vorwurf ſein. Darum iſt der Bund,
und wäre er der berechtigteſte, aus, er iſt aus auf ſo
lange, als die Eltern ihm nicht beiſtimmen können.
Eure ungehorſame Tochter würde ich nicht ſo unaus¬
ſprechlich lieben können, wie ich ſie jezt liebe, eure
gehorſame werde ich ehren und mit tiefſter Seele, wie
fern ich auch ſein mag, lieben, ſo lange ich lebe. Wir
werden daher das Band löſen, wie ſchmerzhaft die
Löſung auch ſein mag. — O Mutter, Mutter! —
laßt euch dieſen Namen zum erſten und vielleicht auch
zum lezten Male geben — der Schmerz iſt ſo groß,
daß ihn keine Zunge ausſprechen kann, und daß ich
mir ſeine Größe nie vorzuſtellen vermocht habe.““
„„Ich erkenne es,““ antwortete ſie, „„und darum
iſt ja der Kummer, den ich und mein Gatte empfin¬
den, ſo groß, daß wir unſerem theuren Kinde und
euch, den wir auch lieben, die Seelenkränkung nicht
erſparen können.““
„„Ich werde morgen Mathilden ſagen,““ erwie¬
derte ich, „„daß ſie ihrem Vater und ihrer Mutter
gehorchen müſſe. Heute erlaubt mir, verehrte Frau,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/330>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.