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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Mehr konnte ich nicht sagen, meine Lippen bebten vor
unsäglichem Schmerz."

"Sie stand auf, legte ihre Hand auf meinen Schei¬
tel, und sagte unter Thränen mit ihrer lieblichen
Stimme: ""Gustav, mein Sohn! du bist es ja immer
gewesen, und ich kann einen besseren nicht wünschen.
Geht jezt beide den Weg eurer Ausbildung, und wenn
dann einst euer gereiftes Wesen dasselbe sagt, was
jezt das wallende Herz sagt, dann kommt beide, wir
werden euch segnen. Stört aber durch Fortspinnen
Steigern und vielleicht Abarten eurer jezigen heftigen
Gefühle nicht die euch so nöthige lezte Entwicklung.""

"Es war das erste Mal gewesen, daß sie mich du
genannt hatte."

"Sie verließ mich, und ging einige Schritte im
Zimmer hin und wieder."

""Verehrte Frau,"" sagte ich nach einer Weile,
""es ist nicht nöthig, daß ich euch morgen oder in die¬
sen Tagen antworte; ich kann es jezt sogleich. Was
ihr mir an Gründen gesagt habt, wird sehr richtig
sein, ich glaube, daß es wirklich so ist, wie ihr sagt;
allein mein ganzes Innere kämpft dagegen, und wenn
das Gesagte noch so wahr ist, so vermag ich es nicht
zu fassen. Erlaubt, daß eine Zeit hierüber vergehe,

Mehr konnte ich nicht ſagen, meine Lippen bebten vor
unſäglichem Schmerz.“

„Sie ſtand auf, legte ihre Hand auf meinen Schei¬
tel, und ſagte unter Thränen mit ihrer lieblichen
Stimme: „„Guſtav, mein Sohn! du biſt es ja immer
geweſen, und ich kann einen beſſeren nicht wünſchen.
Geht jezt beide den Weg eurer Ausbildung, und wenn
dann einſt euer gereiftes Weſen daſſelbe ſagt, was
jezt das wallende Herz ſagt, dann kommt beide, wir
werden euch ſegnen. Stört aber durch Fortſpinnen
Steigern und vielleicht Abarten eurer jezigen heftigen
Gefühle nicht die euch ſo nöthige lezte Entwicklung.““

„Es war das erſte Mal geweſen, daß ſie mich du
genannt hatte.“

„Sie verließ mich, und ging einige Schritte im
Zimmer hin und wieder.“

„„Verehrte Frau,““ ſagte ich nach einer Weile,
„„es iſt nicht nöthig, daß ich euch morgen oder in die¬
ſen Tagen antworte; ich kann es jezt ſogleich. Was
ihr mir an Gründen geſagt habt, wird ſehr richtig
ſein, ich glaube, daß es wirklich ſo iſt, wie ihr ſagt;
allein mein ganzes Innere kämpft dagegen, und wenn
das Geſagte noch ſo wahr iſt, ſo vermag ich es nicht
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[314/0328] Mehr konnte ich nicht ſagen, meine Lippen bebten vor unſäglichem Schmerz.“ „Sie ſtand auf, legte ihre Hand auf meinen Schei¬ tel, und ſagte unter Thränen mit ihrer lieblichen Stimme: „„Guſtav, mein Sohn! du biſt es ja immer geweſen, und ich kann einen beſſeren nicht wünſchen. Geht jezt beide den Weg eurer Ausbildung, und wenn dann einſt euer gereiftes Weſen daſſelbe ſagt, was jezt das wallende Herz ſagt, dann kommt beide, wir werden euch ſegnen. Stört aber durch Fortſpinnen Steigern und vielleicht Abarten eurer jezigen heftigen Gefühle nicht die euch ſo nöthige lezte Entwicklung.““ „Es war das erſte Mal geweſen, daß ſie mich du genannt hatte.“ „Sie verließ mich, und ging einige Schritte im Zimmer hin und wieder.“ „„Verehrte Frau,““ ſagte ich nach einer Weile, „„es iſt nicht nöthig, daß ich euch morgen oder in die¬ ſen Tagen antworte; ich kann es jezt ſogleich. Was ihr mir an Gründen geſagt habt, wird ſehr richtig ſein, ich glaube, daß es wirklich ſo iſt, wie ihr ſagt; allein mein ganzes Innere kämpft dagegen, und wenn das Geſagte noch ſo wahr iſt, ſo vermag ich es nicht zu faſſen. Erlaubt, daß eine Zeit hierüber vergehe,

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/328>, abgerufen am 25.11.2024.