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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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ler, der schon zwei Jahre in der Stadt zugebracht
hatte, und jezt von den bei seinen Eltern verlebten
Ferien zurückkehrte, erboth sich, mir einen Gasthof
zur Unterkunft zu zeigen, und mir morgen zur Auf¬
findung eines Wohnzimmerchens für mich behilflich
zu sein. Ich nahm es dankbar an. Unter dem Thor¬
wege des Gasthofes, in den er mich geführt hatte,
nahm er Abschied von mir, und versprach, mich mor¬
gen mit Tagesanbruch zu besuchen. Er hielt Wort,
ehe ich angekleidet war, stand er schon in meinem
Zimmer, und ehe die Sonne den Mittag erreichte,
waren meine Sachen schon in einem Miethzimmer¬
chen, das wir für mich gefunden hatten, untergebracht.
Er verabschiedete sich, und suchte seine wohlbekannten
Kreise auf. Ich habe ihn später selten mehr gesehen,
da uns nur die Schiffahrt zusammengebracht hatte,
und da seine Laufbahn eine ganz andere war als die
meine. Als ich von meinem Stübchen ausging, die
Stadt zu betrachten, befiel mich wieder eine sehr große
Bangigkeit. Diese ungeheure Wildniß von Mauern
und Dächern dieses unermeßliche Gewimmel von
Menschen, die sich alle fremd sind, und an einander
vorübereilen, die Unmöglichkeit, wenn ich einige Gas¬
sen weit gegangen war, mich zurecht zu finden, und

ler, der ſchon zwei Jahre in der Stadt zugebracht
hatte, und jezt von den bei ſeinen Eltern verlebten
Ferien zurückkehrte, erboth ſich, mir einen Gaſthof
zur Unterkunft zu zeigen, und mir morgen zur Auf¬
findung eines Wohnzimmerchens für mich behilflich
zu ſein. Ich nahm es dankbar an. Unter dem Thor¬
wege des Gaſthofes, in den er mich geführt hatte,
nahm er Abſchied von mir, und verſprach, mich mor¬
gen mit Tagesanbruch zu beſuchen. Er hielt Wort,
ehe ich angekleidet war, ſtand er ſchon in meinem
Zimmer, und ehe die Sonne den Mittag erreichte,
waren meine Sachen ſchon in einem Miethzimmer¬
chen, das wir für mich gefunden hatten, untergebracht.
Er verabſchiedete ſich, und ſuchte ſeine wohlbekannten
Kreiſe auf. Ich habe ihn ſpäter ſelten mehr geſehen,
da uns nur die Schiffahrt zuſammengebracht hatte,
und da ſeine Laufbahn eine ganz andere war als die
meine. Als ich von meinem Stübchen ausging, die
Stadt zu betrachten, befiel mich wieder eine ſehr große
Bangigkeit. Dieſe ungeheure Wildniß von Mauern
und Dächern dieſes unermeßliche Gewimmel von
Menſchen, die ſich alle fremd ſind, und an einander
vorübereilen, die Unmöglichkeit, wenn ich einige Gaſ¬
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[238/0252] ler, der ſchon zwei Jahre in der Stadt zugebracht hatte, und jezt von den bei ſeinen Eltern verlebten Ferien zurückkehrte, erboth ſich, mir einen Gaſthof zur Unterkunft zu zeigen, und mir morgen zur Auf¬ findung eines Wohnzimmerchens für mich behilflich zu ſein. Ich nahm es dankbar an. Unter dem Thor¬ wege des Gaſthofes, in den er mich geführt hatte, nahm er Abſchied von mir, und verſprach, mich mor¬ gen mit Tagesanbruch zu beſuchen. Er hielt Wort, ehe ich angekleidet war, ſtand er ſchon in meinem Zimmer, und ehe die Sonne den Mittag erreichte, waren meine Sachen ſchon in einem Miethzimmer¬ chen, das wir für mich gefunden hatten, untergebracht. Er verabſchiedete ſich, und ſuchte ſeine wohlbekannten Kreiſe auf. Ich habe ihn ſpäter ſelten mehr geſehen, da uns nur die Schiffahrt zuſammengebracht hatte, und da ſeine Laufbahn eine ganz andere war als die meine. Als ich von meinem Stübchen ausging, die Stadt zu betrachten, befiel mich wieder eine ſehr große Bangigkeit. Dieſe ungeheure Wildniß von Mauern und Dächern dieſes unermeßliche Gewimmel von Menſchen, die ſich alle fremd ſind, und an einander vorübereilen, die Unmöglichkeit, wenn ich einige Gaſ¬ ſen weit gegangen war, mich zurecht zu finden, und

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/252>, abgerufen am 24.11.2024.