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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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der menschlich sittlichen und der irdisch merkwürdigen
Zustände in der Dichtkunst. Ich gab mich diesen Ge¬
stalten mit Wärme hin, und verlangte Gebilde, die
ihnen ähnlich sind, im Leben. Felsen Berge Wolken
Bäume, die ihnen glichen, liebte ich, die entgegenge¬
sezten verachtete ich. Menschen menschliche Handlun¬
gen und Verhältnisse, die ihnen entsprachen, zogen
mich an, die andern stießen mich ab. Es war, ich er¬
kannte es spät, im Grunde die Wesenheit eines
Künstlers, die sich in mir offenbarte und ihre Erfül¬
lung heischte. Ob ich ein guter oder ein mittelmäßiger
Künstler geworden wäre, weiß ich nicht. Ein großer
aber wahrscheinlich nicht, weil dann nach allem Ver¬
muthen doch die Begabung durchgebrochen wäre, und
ihren Gegenstand ergriffen hätte. Vielleicht irre ich
mich auch darin, und es war mehr blos die Anlage
des Kunstverständnisses, was sich offenbarte, als die
der Kunstgestaltung. Wie das aber auch ist: in jedem
Falle waren die Kräfte, die sich in mir regten, dem
Wirken eines Staatsdieners eher hinderlich als för¬
derlich. Sie verlangten Gestalten und bewegten sich
um Gestalten. So wie aber der Staat selber die
Ordnung der gesellschaftlichen Beziehungen der Men¬
schen ist, also nicht eine Gestalt sondern eine Fassung:

der menſchlich ſittlichen und der irdiſch merkwürdigen
Zuſtände in der Dichtkunſt. Ich gab mich dieſen Ge¬
ſtalten mit Wärme hin, und verlangte Gebilde, die
ihnen ähnlich ſind, im Leben. Felſen Berge Wolken
Bäume, die ihnen glichen, liebte ich, die entgegenge¬
ſezten verachtete ich. Menſchen menſchliche Handlun¬
gen und Verhältniſſe, die ihnen entſprachen, zogen
mich an, die andern ſtießen mich ab. Es war, ich er¬
kannte es ſpät, im Grunde die Weſenheit eines
Künſtlers, die ſich in mir offenbarte und ihre Erfül¬
lung heiſchte. Ob ich ein guter oder ein mittelmäßiger
Künſtler geworden wäre, weiß ich nicht. Ein großer
aber wahrſcheinlich nicht, weil dann nach allem Ver¬
muthen doch die Begabung durchgebrochen wäre, und
ihren Gegenſtand ergriffen hätte. Vielleicht irre ich
mich auch darin, und es war mehr blos die Anlage
des Kunſtverſtändniſſes, was ſich offenbarte, als die
der Kunſtgeſtaltung. Wie das aber auch iſt: in jedem
Falle waren die Kräfte, die ſich in mir regten, dem
Wirken eines Staatsdieners eher hinderlich als för¬
derlich. Sie verlangten Geſtalten und bewegten ſich
um Geſtalten. So wie aber der Staat ſelber die
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ſchen iſt, alſo nicht eine Geſtalt ſondern eine Faſſung:

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[220/0234] der menſchlich ſittlichen und der irdiſch merkwürdigen Zuſtände in der Dichtkunſt. Ich gab mich dieſen Ge¬ ſtalten mit Wärme hin, und verlangte Gebilde, die ihnen ähnlich ſind, im Leben. Felſen Berge Wolken Bäume, die ihnen glichen, liebte ich, die entgegenge¬ ſezten verachtete ich. Menſchen menſchliche Handlun¬ gen und Verhältniſſe, die ihnen entſprachen, zogen mich an, die andern ſtießen mich ab. Es war, ich er¬ kannte es ſpät, im Grunde die Weſenheit eines Künſtlers, die ſich in mir offenbarte und ihre Erfül¬ lung heiſchte. Ob ich ein guter oder ein mittelmäßiger Künſtler geworden wäre, weiß ich nicht. Ein großer aber wahrſcheinlich nicht, weil dann nach allem Ver¬ muthen doch die Begabung durchgebrochen wäre, und ihren Gegenſtand ergriffen hätte. Vielleicht irre ich mich auch darin, und es war mehr blos die Anlage des Kunſtverſtändniſſes, was ſich offenbarte, als die der Kunſtgeſtaltung. Wie das aber auch iſt: in jedem Falle waren die Kräfte, die ſich in mir regten, dem Wirken eines Staatsdieners eher hinderlich als för¬ derlich. Sie verlangten Geſtalten und bewegten ſich um Geſtalten. So wie aber der Staat ſelber die Ordnung der geſellſchaftlichen Beziehungen der Men¬ ſchen iſt, alſo nicht eine Geſtalt ſondern eine Faſſung:

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/234>, abgerufen am 23.11.2024.