jener Insel, oder vielmehr, er war so, wo er nicht von den im Alterthume berühmten Kornfeldern be¬ kleidet oder von den dunkeln fruchtbringenden Bäu¬ men bedeckt ist, sondern wo er zerrissen und vielge¬ staltig ohne Baum und Strauch mit den dürren Grä¬ sern den weiß leuchtenden Furchen, in denen ein aus unzähligen Steinen bestehender Quarz angehäuft ist, und mit dem Gerölle und mit dem Trümmerwerke, das überall ausgesät ist, der dörrenden Sonne ent¬ gegenschaut. So war Rolands Boden, so bedeckte er die ungeheure Fläche, und so war er in sehr großen und einfachen Abtheilungen gehalten, und über ihm waren Wolken, welche einzeln und vielzählig schim¬ mernd und Schatten werfend in einem Himmel stan¬ den, welcher tief und heiß und südlich war.
Wir standen eine Weile vor dem Bilde und be¬ trachteten es. Roland stand hinter uns, und da ich mich einmal wendete, sah ich, daß er die Leinwand mit glänzenden Augen betrachte. Wir sprachen wenig oder beinahe nichts.
"Er hat sich die Aufgabe eines Gegenstandes ge¬ stellt, den er noch nicht gesehen hat," sagte mein Gastfreund, "er hält sich ihn nur in seiner Ein¬ bildungskraft vor Augen. Wir werden sehen, wie
jener Inſel, oder vielmehr, er war ſo, wo er nicht von den im Alterthume berühmten Kornfeldern be¬ kleidet oder von den dunkeln fruchtbringenden Bäu¬ men bedeckt iſt, ſondern wo er zerriſſen und vielge¬ ſtaltig ohne Baum und Strauch mit den dürren Grä¬ ſern den weiß leuchtenden Furchen, in denen ein aus unzähligen Steinen beſtehender Quarz angehäuft iſt, und mit dem Gerölle und mit dem Trümmerwerke, das überall ausgeſät iſt, der dörrenden Sonne ent¬ gegenſchaut. So war Rolands Boden, ſo bedeckte er die ungeheure Fläche, und ſo war er in ſehr großen und einfachen Abtheilungen gehalten, und über ihm waren Wolken, welche einzeln und vielzählig ſchim¬ mernd und Schatten werfend in einem Himmel ſtan¬ den, welcher tief und heiß und ſüdlich war.
Wir ſtanden eine Weile vor dem Bilde und be¬ trachteten es. Roland ſtand hinter uns, und da ich mich einmal wendete, ſah ich, daß er die Leinwand mit glänzenden Augen betrachte. Wir ſprachen wenig oder beinahe nichts.
„Er hat ſich die Aufgabe eines Gegenſtandes ge¬ ſtellt, den er noch nicht geſehen hat,“ ſagte mein Gaſtfreund, „er hält ſich ihn nur in ſeiner Ein¬ bildungskraft vor Augen. Wir werden ſehen, wie
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0192"n="178"/>
jener Inſel, oder vielmehr, er war ſo, wo er nicht<lb/>
von den im Alterthume berühmten Kornfeldern be¬<lb/>
kleidet oder von den dunkeln fruchtbringenden Bäu¬<lb/>
men bedeckt iſt, ſondern wo er zerriſſen und vielge¬<lb/>ſtaltig ohne Baum und Strauch mit den dürren Grä¬<lb/>ſern den weiß leuchtenden Furchen, in denen ein aus<lb/>
unzähligen Steinen beſtehender Quarz angehäuft iſt,<lb/>
und mit dem Gerölle und mit dem Trümmerwerke,<lb/>
das überall ausgeſät iſt, der dörrenden Sonne ent¬<lb/>
gegenſchaut. So war Rolands Boden, ſo bedeckte er<lb/>
die ungeheure Fläche, und ſo war er in ſehr großen<lb/>
und einfachen Abtheilungen gehalten, und über ihm<lb/>
waren Wolken, welche einzeln und vielzählig ſchim¬<lb/>
mernd und Schatten werfend in einem Himmel ſtan¬<lb/>
den, welcher tief und heiß und ſüdlich war.</p><lb/><p>Wir ſtanden eine Weile vor dem Bilde und be¬<lb/>
trachteten es. Roland ſtand hinter uns, und da ich<lb/>
mich einmal wendete, ſah ich, daß er die Leinwand<lb/>
mit glänzenden Augen betrachte. Wir ſprachen wenig<lb/>
oder beinahe nichts.</p><lb/><p>„Er hat ſich die Aufgabe eines Gegenſtandes ge¬<lb/>ſtellt, den er noch nicht geſehen hat,“ſagte mein<lb/>
Gaſtfreund, „er hält ſich ihn nur in ſeiner Ein¬<lb/>
bildungskraft vor Augen. Wir werden ſehen, wie<lb/></p></div></body></text></TEI>
[178/0192]
jener Inſel, oder vielmehr, er war ſo, wo er nicht
von den im Alterthume berühmten Kornfeldern be¬
kleidet oder von den dunkeln fruchtbringenden Bäu¬
men bedeckt iſt, ſondern wo er zerriſſen und vielge¬
ſtaltig ohne Baum und Strauch mit den dürren Grä¬
ſern den weiß leuchtenden Furchen, in denen ein aus
unzähligen Steinen beſtehender Quarz angehäuft iſt,
und mit dem Gerölle und mit dem Trümmerwerke,
das überall ausgeſät iſt, der dörrenden Sonne ent¬
gegenſchaut. So war Rolands Boden, ſo bedeckte er
die ungeheure Fläche, und ſo war er in ſehr großen
und einfachen Abtheilungen gehalten, und über ihm
waren Wolken, welche einzeln und vielzählig ſchim¬
mernd und Schatten werfend in einem Himmel ſtan¬
den, welcher tief und heiß und ſüdlich war.
Wir ſtanden eine Weile vor dem Bilde und be¬
trachteten es. Roland ſtand hinter uns, und da ich
mich einmal wendete, ſah ich, daß er die Leinwand
mit glänzenden Augen betrachte. Wir ſprachen wenig
oder beinahe nichts.
„Er hat ſich die Aufgabe eines Gegenſtandes ge¬
ſtellt, den er noch nicht geſehen hat,“ ſagte mein
Gaſtfreund, „er hält ſich ihn nur in ſeiner Ein¬
bildungskraft vor Augen. Wir werden ſehen, wie
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/192>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.