Schneefelder verfärbten sich zu einer schöneren und anmuthigeren Farbe, als das Bleigrau war, mit dem sie bisher bedeckt gewesen waren, und in der lichten Stelle des Nebels begann ein Punkt zu glühen, der immer größer wurde, und endlich in der Größe eines Tellers schweben blieb, zwar trübroth aber so innig glimmend wie der feurigste Rubin. Die Sonne war es, die die niederen Berge überwunden hatte, und den Nebel durchbrannte. Immer röthlicher wurde der Schnee, immer deutlicher fast grünlich seine Schatten, die hohen Felsen zu unserer Rechten, die im Westen standen, spürten auch die sich nähernde Leuchte, und rötheten sich. Sonst war nichts zu sehen, als der un¬ geheure dunkle ganz heitere Himmel über uns, und in der einfachen großen Fläche, die die Natur hieher gelegt hatte, standen nur die zwei Menschen, die da winzig genug sein mußten. Der Nebel fing endlich an seiner äußersten Grenze zu leuchten an wie ge¬ schmolzenes Metall, der Himmel lichtete sich, und die Sonne quoll wie blizendes Erz aus ihrer Umhül¬ lung empor. Die Lichter schossen plözlich über den Schnee zu unsern Füssen, und fingen sich an den Fel¬ sen. Der freudige Tag war da.
Wir banden uns die Stricke um den Leib, und
Stifter, Nachsommer. III. 11
Schneefelder verfärbten ſich zu einer ſchöneren und anmuthigeren Farbe, als das Bleigrau war, mit dem ſie bisher bedeckt geweſen waren, und in der lichten Stelle des Nebels begann ein Punkt zu glühen, der immer größer wurde, und endlich in der Größe eines Tellers ſchweben blieb, zwar trübroth aber ſo innig glimmend wie der feurigſte Rubin. Die Sonne war es, die die niederen Berge überwunden hatte, und den Nebel durchbrannte. Immer röthlicher wurde der Schnee, immer deutlicher faſt grünlich ſeine Schatten, die hohen Felſen zu unſerer Rechten, die im Weſten ſtanden, ſpürten auch die ſich nähernde Leuchte, und rötheten ſich. Sonſt war nichts zu ſehen, als der un¬ geheure dunkle ganz heitere Himmel über uns, und in der einfachen großen Fläche, die die Natur hieher gelegt hatte, ſtanden nur die zwei Menſchen, die da winzig genug ſein mußten. Der Nebel fing endlich an ſeiner äußerſten Grenze zu leuchten an wie ge¬ ſchmolzenes Metall, der Himmel lichtete ſich, und die Sonne quoll wie blizendes Erz aus ihrer Umhül¬ lung empor. Die Lichter ſchoſſen plözlich über den Schnee zu unſern Füſſen, und fingen ſich an den Fel¬ ſen. Der freudige Tag war da.
Wir banden uns die Stricke um den Leib, und
Stifter, Nachſommer. III. 11
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0175"n="161"/>
Schneefelder verfärbten ſich zu einer ſchöneren und<lb/>
anmuthigeren Farbe, als das Bleigrau war, mit dem<lb/>ſie bisher bedeckt geweſen waren, und in der lichten<lb/>
Stelle des Nebels begann ein Punkt zu glühen, der<lb/>
immer größer wurde, und endlich in der Größe eines<lb/>
Tellers ſchweben blieb, zwar trübroth aber ſo innig<lb/>
glimmend wie der feurigſte Rubin. Die Sonne war<lb/>
es, die die niederen Berge überwunden hatte, und<lb/>
den Nebel durchbrannte. Immer röthlicher wurde der<lb/>
Schnee, immer deutlicher faſt grünlich ſeine Schatten,<lb/>
die hohen Felſen zu unſerer Rechten, die im Weſten<lb/>ſtanden, ſpürten auch die ſich nähernde Leuchte, und<lb/>
rötheten ſich. Sonſt war nichts zu ſehen, als der un¬<lb/>
geheure dunkle ganz heitere Himmel über uns, und<lb/>
in der einfachen großen Fläche, die die Natur hieher<lb/>
gelegt hatte, ſtanden nur die zwei Menſchen, die da<lb/>
winzig genug ſein mußten. Der Nebel fing endlich<lb/>
an ſeiner äußerſten Grenze zu leuchten an wie ge¬<lb/>ſchmolzenes Metall, der Himmel lichtete ſich, und<lb/>
die Sonne quoll wie blizendes Erz aus ihrer Umhül¬<lb/>
lung empor. Die Lichter ſchoſſen plözlich über den<lb/>
Schnee zu unſern Füſſen, und fingen ſich an den Fel¬<lb/>ſen. Der freudige Tag war da.</p><lb/><p>Wir banden uns die Stricke um den Leib, und<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Stifter</hi>, Nachſommer. <hirendition="#aq">III</hi>. 11<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[161/0175]
Schneefelder verfärbten ſich zu einer ſchöneren und
anmuthigeren Farbe, als das Bleigrau war, mit dem
ſie bisher bedeckt geweſen waren, und in der lichten
Stelle des Nebels begann ein Punkt zu glühen, der
immer größer wurde, und endlich in der Größe eines
Tellers ſchweben blieb, zwar trübroth aber ſo innig
glimmend wie der feurigſte Rubin. Die Sonne war
es, die die niederen Berge überwunden hatte, und
den Nebel durchbrannte. Immer röthlicher wurde der
Schnee, immer deutlicher faſt grünlich ſeine Schatten,
die hohen Felſen zu unſerer Rechten, die im Weſten
ſtanden, ſpürten auch die ſich nähernde Leuchte, und
rötheten ſich. Sonſt war nichts zu ſehen, als der un¬
geheure dunkle ganz heitere Himmel über uns, und
in der einfachen großen Fläche, die die Natur hieher
gelegt hatte, ſtanden nur die zwei Menſchen, die da
winzig genug ſein mußten. Der Nebel fing endlich
an ſeiner äußerſten Grenze zu leuchten an wie ge¬
ſchmolzenes Metall, der Himmel lichtete ſich, und
die Sonne quoll wie blizendes Erz aus ihrer Umhül¬
lung empor. Die Lichter ſchoſſen plözlich über den
Schnee zu unſern Füſſen, und fingen ſich an den Fel¬
ſen. Der freudige Tag war da.
Wir banden uns die Stricke um den Leib, und
Stifter, Nachſommer. III. 11
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/175>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.