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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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"Wo Natalie wohnt?" fragte sie.

"Wo Natalie wohnt, wo die edle Mathilde ver¬
weilt, wo so treffliche Menschen ein und aus gehen,
wohin meine Gedanken sich mit Empfindung wenden,
wo sanfte Gegenstände der Kunst thronen, und wo
ein liebes Land um all die Mauern herum liegt,"
antwortete ich.

"Das ist der Sternenhof!" sagte Klotilde, blickte
wieder in das Fernrohr, und sah lange durch dasselbe.

"Ich habe dich mit Freude auf diesen Hügel ge¬
führt, Klotilde," sagte ich, "um dir diesen Ort zu
zeigen, in dem mein warmes Herz schlägt, und ein
tiefer Theil von meinem Wesen wohnt."

"Ach lieber theurer Bruder," antwortete sie, "wie
oft gehen meine Gedanken an den Ort, und wie oft
weilt mein Gemüth in seinen mir noch unbekannten
Mauern!"

"Du begreifst aber," sagte ich, "daß wir jezt nicht
hingehen können, und daß die Angelegenheit ihre
naturgemäße Entwickelung haben muß."

"Ich begreife es," antwortete sie.

"Du wirst sie sehen, an deinem Herzen halten,
und sie lieben," sagte ich.

Klotilde sah wieder in das Rohr, sie sah sehr

„Wo Natalie wohnt?“ fragte ſie.

„Wo Natalie wohnt, wo die edle Mathilde ver¬
weilt, wo ſo treffliche Menſchen ein und aus gehen,
wohin meine Gedanken ſich mit Empfindung wenden,
wo ſanfte Gegenſtände der Kunſt thronen, und wo
ein liebes Land um all die Mauern herum liegt,“
antwortete ich.

„Das iſt der Sternenhof!“ ſagte Klotilde, blickte
wieder in das Fernrohr, und ſah lange durch dasſelbe.

„Ich habe dich mit Freude auf dieſen Hügel ge¬
führt, Klotilde,“ ſagte ich, „um dir dieſen Ort zu
zeigen, in dem mein warmes Herz ſchlägt, und ein
tiefer Theil von meinem Weſen wohnt.“

„Ach lieber theurer Bruder,“ antwortete ſie, „wie
oft gehen meine Gedanken an den Ort, und wie oft
weilt mein Gemüth in ſeinen mir noch unbekannten
Mauern!“

„Du begreifſt aber,“ ſagte ich, „daß wir jezt nicht
hingehen können, und daß die Angelegenheit ihre
naturgemäße Entwickelung haben muß.“

„Ich begreife es,“ antwortete ſie.

„Du wirſt ſie ſehen, an deinem Herzen halten,
und ſie lieben,“ ſagte ich.

Klotilde ſah wieder in das Rohr, ſie ſah ſehr

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[139/0153] „Wo Natalie wohnt?“ fragte ſie. „Wo Natalie wohnt, wo die edle Mathilde ver¬ weilt, wo ſo treffliche Menſchen ein und aus gehen, wohin meine Gedanken ſich mit Empfindung wenden, wo ſanfte Gegenſtände der Kunſt thronen, und wo ein liebes Land um all die Mauern herum liegt,“ antwortete ich. „Das iſt der Sternenhof!“ ſagte Klotilde, blickte wieder in das Fernrohr, und ſah lange durch dasſelbe. „Ich habe dich mit Freude auf dieſen Hügel ge¬ führt, Klotilde,“ ſagte ich, „um dir dieſen Ort zu zeigen, in dem mein warmes Herz ſchlägt, und ein tiefer Theil von meinem Weſen wohnt.“ „Ach lieber theurer Bruder,“ antwortete ſie, „wie oft gehen meine Gedanken an den Ort, und wie oft weilt mein Gemüth in ſeinen mir noch unbekannten Mauern!“ „Du begreifſt aber,“ ſagte ich, „daß wir jezt nicht hingehen können, und daß die Angelegenheit ihre naturgemäße Entwickelung haben muß.“ „Ich begreife es,“ antwortete ſie. „Du wirſt ſie ſehen, an deinem Herzen halten, und ſie lieben,“ ſagte ich. Klotilde ſah wieder in das Rohr, ſie ſah ſehr

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/153>, abgerufen am 22.11.2024.