hätten seit Jahren die jezige Entwicklung schon ge¬ ahnt. Im Rosenhause und im Sternenhofe, meinten sie, würde man mich nicht so freundschaftlich und gütig behandelt haben, wenn man mich nicht lieb gehabt, und wenn man nicht selbst das, was sich jezt ereignet hat, als etwas Angenehmes betrachtet hätte, dessen Spuren man ja doch habe entstehen sehen müssen. So lieb mir diese Ansicht war, weil sie die Gesinnungen meiner Angehörigen gegen mich aus¬ drückte, so konnte ich doch nicht umhin, zu denken, daß nur die Meinigen die Sache so betrachten, weil sie eben die Meinigen sind, und daß sie mich auch darum des Empfangenen für würdig erachteten. Ich aber wußte es anders, weil ich Natalien und ihre Umgebung kannte, und ihren Werth zu ahnen ver¬ mochte. Ich konnte das, was mir begegnete, nur als ein Glück ansehen, welches mir ein günstiges Schicksal entgegen geführt hatte, und dessen immer würdiger zu werden ich mich bestreben müsse.
Mein Vater sagte, es sei alles gut, die Mutter ließ in wehmüthiger und freudiger Stimmung immer wieder die Worte fallen, daß denn so gar nichts für ein so wichtiges Verhältniß vorbereitet sei; die Schwe¬ ster sah mich öfter sinnend und betrachtend an.
hätten ſeit Jahren die jezige Entwicklung ſchon ge¬ ahnt. Im Roſenhauſe und im Sternenhofe, meinten ſie, würde man mich nicht ſo freundſchaftlich und gütig behandelt haben, wenn man mich nicht lieb gehabt, und wenn man nicht ſelbſt das, was ſich jezt ereignet hat, als etwas Angenehmes betrachtet hätte, deſſen Spuren man ja doch habe entſtehen ſehen müſſen. So lieb mir dieſe Anſicht war, weil ſie die Geſinnungen meiner Angehörigen gegen mich aus¬ drückte, ſo konnte ich doch nicht umhin, zu denken, daß nur die Meinigen die Sache ſo betrachten, weil ſie eben die Meinigen ſind, und daß ſie mich auch darum des Empfangenen für würdig erachteten. Ich aber wußte es anders, weil ich Natalien und ihre Umgebung kannte, und ihren Werth zu ahnen ver¬ mochte. Ich konnte das, was mir begegnete, nur als ein Glück anſehen, welches mir ein günſtiges Schickſal entgegen geführt hatte, und deſſen immer würdiger zu werden ich mich beſtreben müſſe.
Mein Vater ſagte, es ſei alles gut, die Mutter ließ in wehmüthiger und freudiger Stimmung immer wieder die Worte fallen, daß denn ſo gar nichts für ein ſo wichtiges Verhältniß vorbereitet ſei; die Schwe¬ ſter ſah mich öfter ſinnend und betrachtend an.
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hätten ſeit Jahren die jezige Entwicklung ſchon ge¬
ahnt. Im Roſenhauſe und im Sternenhofe, meinten
ſie, würde man mich nicht ſo freundſchaftlich und
gütig behandelt haben, wenn man mich nicht lieb
gehabt, und wenn man nicht ſelbſt das, was ſich jezt
ereignet hat, als etwas Angenehmes betrachtet hätte,
deſſen Spuren man ja doch habe entſtehen ſehen
müſſen. So lieb mir dieſe Anſicht war, weil ſie die
Geſinnungen meiner Angehörigen gegen mich aus¬
drückte, ſo konnte ich doch nicht umhin, zu denken,
daß nur die Meinigen die Sache ſo betrachten, weil
ſie eben die Meinigen ſind, und daß ſie mich auch
darum des Empfangenen für würdig erachteten. Ich
aber wußte es anders, weil ich Natalien und ihre
Umgebung kannte, und ihren Werth zu ahnen ver¬
mochte. Ich konnte das, was mir begegnete, nur
als ein Glück anſehen, welches mir ein günſtiges
Schickſal entgegen geführt hatte, und deſſen immer
würdiger zu werden ich mich beſtreben müſſe.
Mein Vater ſagte, es ſei alles gut, die Mutter
ließ in wehmüthiger und freudiger Stimmung immer
wieder die Worte fallen, daß denn ſo gar nichts für
ein ſo wichtiges Verhältniß vorbereitet ſei; die Schwe¬
ſter ſah mich öfter ſinnend und betrachtend an.
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/122>, abgerufen am 24.11.2024.
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