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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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wenn der Grund gelegt ist, muß der Mann sich wie¬
der dem Einzigen zuwenden, wenn er irgendwie etwas
Bedeutendes leisten soll. Er wird dann nicht mehr
in das Einseitige verfallen. In der Jugend muß
man sich allseitig üben, um als Mann gerade dann
für das Einzelne tauglich zu sein. Ich sage nicht, daß
man sich in das Tiefste des Lebens in allen Richtun¬
gen versenken müsse, wie zum Beispiele in allen
Wissenschaften, wie ihr ja selber einmal angefangen
habt, das wäre überwältigend oder tödtend, ohne da¬
bei möglich zu sein; sondern daß man das Leben, wie
es uns überall umgibt, aufsuche, daß man seine Er¬
scheinungen auf sich wirken lasse, damit sie Spuren
einprägen, unmerklich und unbewußt, ohne daß man
diese Erscheinungen der Wissenschaft unterwerfe.
Darin, meine ich, besteht das natürliche Wissen des
Geistes zum Unterschiede von der absichtlichen Pflege
desselben. Er wird nach und nach gerecht für die
Vorkommnisse des Lebens. Ihr habt, scheint es mir
zu jung einen einzelnen Zweig erfaßt, unterbrecht ihn
ein wenig, ihr werdet ihn dann freier und großartiger
wieder aufnehmen. Schaut auch die unbedeutenden
ja nichtigen Erscheinungen des Lebens an. Geht in
die Stadt, sucht euch deren Vorkommniße zurecht zu

wenn der Grund gelegt iſt, muß der Mann ſich wie¬
der dem Einzigen zuwenden, wenn er irgendwie etwas
Bedeutendes leiſten ſoll. Er wird dann nicht mehr
in das Einſeitige verfallen. In der Jugend muß
man ſich allſeitig üben, um als Mann gerade dann
für das Einzelne tauglich zu ſein. Ich ſage nicht, daß
man ſich in das Tiefſte des Lebens in allen Richtun¬
gen verſenken müſſe, wie zum Beiſpiele in allen
Wiſſenſchaften, wie ihr ja ſelber einmal angefangen
habt, das wäre überwältigend oder tödtend, ohne da¬
bei möglich zu ſein; ſondern daß man das Leben, wie
es uns überall umgibt, aufſuche, daß man ſeine Er¬
ſcheinungen auf ſich wirken laſſe, damit ſie Spuren
einprägen, unmerklich und unbewußt, ohne daß man
dieſe Erſcheinungen der Wiſſenſchaft unterwerfe.
Darin, meine ich, beſteht das natürliche Wiſſen des
Geiſtes zum Unterſchiede von der abſichtlichen Pflege
deſſelben. Er wird nach und nach gerecht für die
Vorkommniſſe des Lebens. Ihr habt, ſcheint es mir
zu jung einen einzelnen Zweig erfaßt, unterbrecht ihn
ein wenig, ihr werdet ihn dann freier und großartiger
wieder aufnehmen. Schaut auch die unbedeutenden
ja nichtigen Erſcheinungen des Lebens an. Geht in
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[58/0072] wenn der Grund gelegt iſt, muß der Mann ſich wie¬ der dem Einzigen zuwenden, wenn er irgendwie etwas Bedeutendes leiſten ſoll. Er wird dann nicht mehr in das Einſeitige verfallen. In der Jugend muß man ſich allſeitig üben, um als Mann gerade dann für das Einzelne tauglich zu ſein. Ich ſage nicht, daß man ſich in das Tiefſte des Lebens in allen Richtun¬ gen verſenken müſſe, wie zum Beiſpiele in allen Wiſſenſchaften, wie ihr ja ſelber einmal angefangen habt, das wäre überwältigend oder tödtend, ohne da¬ bei möglich zu ſein; ſondern daß man das Leben, wie es uns überall umgibt, aufſuche, daß man ſeine Er¬ ſcheinungen auf ſich wirken laſſe, damit ſie Spuren einprägen, unmerklich und unbewußt, ohne daß man dieſe Erſcheinungen der Wiſſenſchaft unterwerfe. Darin, meine ich, beſteht das natürliche Wiſſen des Geiſtes zum Unterſchiede von der abſichtlichen Pflege deſſelben. Er wird nach und nach gerecht für die Vorkommniſſe des Lebens. Ihr habt, ſcheint es mir zu jung einen einzelnen Zweig erfaßt, unterbrecht ihn ein wenig, ihr werdet ihn dann freier und großartiger wieder aufnehmen. Schaut auch die unbedeutenden ja nichtigen Erſcheinungen des Lebens an. Geht in die Stadt, ſucht euch deren Vorkommniße zurecht zu

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/72>, abgerufen am 24.11.2024.