Gefahr zu befürchten, selbst bei solchen, die in ihrem Amte sehr zweifelhaft sind. Euer Geist wird sich wohl heraus finden und gerade dadurch noch mehr klären. Da ich von der Weisheitslehre sprach, welche man in unserem deutschen Lande noch immer als Weisheits¬ liebe mit dem griechischen Worte Philosophie bezeich¬ net, muß ich euch sagen, was ihr wohl vielleicht schon aus anderen Reden von mir gemerkt haben mögt, daß ich nicht gar sehr viel auf sie halte, wenn sie in ihrem eigenen und eigenthümlichen Gewande auftrit. Ich habe alte und neue Werke derselben mit gutem Willen durchgenommen; aber ich habe mich zu viel mit der Natur abgegeben, als daß ich auf ledigliche Abhand¬ lungen ohne gegebener Grundlage viel Gewicht legen könnte, ja sie sind mir sogar widerwärtig. Vielleicht reden wir noch ein anderes Mal von dem Gegen¬ stande. Wenn ich je einige Weisheit gelernt habe, so habe ich sie nicht aus den eigentlichsten Weisheits¬ büchern am wenigsten aus den neuen -- jezt lese ich gar keine mehr -- gelernt; sondern ich habe sie aus Dichtern genommen oder aus der Geschichte, die mir am Ende wie die gegenständlichste Dichtung vor¬ kömmt."
Als ich meinen Gastfreund so reden hörte, erin¬
Gefahr zu befürchten, ſelbſt bei ſolchen, die in ihrem Amte ſehr zweifelhaft ſind. Euer Geiſt wird ſich wohl heraus finden und gerade dadurch noch mehr klären. Da ich von der Weisheitslehre ſprach, welche man in unſerem deutſchen Lande noch immer als Weisheits¬ liebe mit dem griechiſchen Worte Philoſophie bezeich¬ net, muß ich euch ſagen, was ihr wohl vielleicht ſchon aus anderen Reden von mir gemerkt haben mögt, daß ich nicht gar ſehr viel auf ſie halte, wenn ſie in ihrem eigenen und eigenthümlichen Gewande auftrit. Ich habe alte und neue Werke derſelben mit gutem Willen durchgenommen; aber ich habe mich zu viel mit der Natur abgegeben, als daß ich auf ledigliche Abhand¬ lungen ohne gegebener Grundlage viel Gewicht legen könnte, ja ſie ſind mir ſogar widerwärtig. Vielleicht reden wir noch ein anderes Mal von dem Gegen¬ ſtande. Wenn ich je einige Weisheit gelernt habe, ſo habe ich ſie nicht aus den eigentlichſten Weisheits¬ büchern am wenigſten aus den neuen — jezt leſe ich gar keine mehr — gelernt; ſondern ich habe ſie aus Dichtern genommen oder aus der Geſchichte, die mir am Ende wie die gegenſtändlichſte Dichtung vor¬ kömmt.“
Als ich meinen Gaſtfreund ſo reden hörte, erin¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0069"n="55"/>
Gefahr zu befürchten, ſelbſt bei ſolchen, die in ihrem<lb/>
Amte ſehr zweifelhaft ſind. Euer Geiſt wird ſich wohl<lb/>
heraus finden und gerade dadurch noch mehr klären.<lb/>
Da ich von der Weisheitslehre ſprach, welche man in<lb/>
unſerem deutſchen Lande noch immer als Weisheits¬<lb/>
liebe mit dem griechiſchen Worte Philoſophie bezeich¬<lb/>
net, muß ich euch ſagen, was ihr wohl vielleicht ſchon<lb/>
aus anderen Reden von mir gemerkt haben mögt, daß<lb/>
ich nicht gar ſehr viel auf ſie halte, wenn ſie in ihrem<lb/>
eigenen und eigenthümlichen Gewande auftrit. Ich<lb/>
habe alte und neue Werke derſelben mit gutem Willen<lb/>
durchgenommen; aber ich habe mich zu viel mit der<lb/>
Natur abgegeben, als daß ich auf ledigliche Abhand¬<lb/>
lungen ohne gegebener Grundlage viel Gewicht legen<lb/>
könnte, ja ſie ſind mir ſogar widerwärtig. Vielleicht<lb/>
reden wir noch ein anderes Mal von dem Gegen¬<lb/>ſtande. Wenn ich je einige Weisheit gelernt habe,<lb/>ſo habe ich ſie nicht aus den eigentlichſten Weisheits¬<lb/>
büchern am wenigſten aus den neuen — jezt leſe ich<lb/>
gar keine mehr — gelernt; ſondern ich habe ſie aus<lb/>
Dichtern genommen oder aus der Geſchichte, die mir<lb/>
am Ende wie die gegenſtändlichſte Dichtung vor¬<lb/>
kömmt.“</p><lb/><p>Als ich meinen Gaſtfreund ſo reden hörte, erin¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[55/0069]
Gefahr zu befürchten, ſelbſt bei ſolchen, die in ihrem
Amte ſehr zweifelhaft ſind. Euer Geiſt wird ſich wohl
heraus finden und gerade dadurch noch mehr klären.
Da ich von der Weisheitslehre ſprach, welche man in
unſerem deutſchen Lande noch immer als Weisheits¬
liebe mit dem griechiſchen Worte Philoſophie bezeich¬
net, muß ich euch ſagen, was ihr wohl vielleicht ſchon
aus anderen Reden von mir gemerkt haben mögt, daß
ich nicht gar ſehr viel auf ſie halte, wenn ſie in ihrem
eigenen und eigenthümlichen Gewande auftrit. Ich
habe alte und neue Werke derſelben mit gutem Willen
durchgenommen; aber ich habe mich zu viel mit der
Natur abgegeben, als daß ich auf ledigliche Abhand¬
lungen ohne gegebener Grundlage viel Gewicht legen
könnte, ja ſie ſind mir ſogar widerwärtig. Vielleicht
reden wir noch ein anderes Mal von dem Gegen¬
ſtande. Wenn ich je einige Weisheit gelernt habe,
ſo habe ich ſie nicht aus den eigentlichſten Weisheits¬
büchern am wenigſten aus den neuen — jezt leſe ich
gar keine mehr — gelernt; ſondern ich habe ſie aus
Dichtern genommen oder aus der Geſchichte, die mir
am Ende wie die gegenſtändlichſte Dichtung vor¬
kömmt.“
Als ich meinen Gaſtfreund ſo reden hörte, erin¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/69>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.