werk, was im eignen Herzen lebt. Daher kömmt die Erscheinung, daß Werke von bedeutend verschiedener Geltung die Jugend auf gleiche Art entzücken können, und daß Erzeugnisse höchster Größe, wenn sie keine Wiederspieglung der Jugendblüthe sind, nicht erfaßt werden können. In dem Alter werden selbst solche Glanzstellen der Jugend, die schon sehr ferne liegen, wie etwa die Sehnsucht der ersten Liebe mit ihrer Dunkelheit und Grenzenlosigkeit, oder wie die holde und berauschende Seligkeit der Gegenliebe, oder die Träume künftiger Thaten und künftiger Größe, der Blick in ein unendliches erst kommendes Leben oder wie das erste Stammeln in irgend einer Kunst von dem Greise in dem sanften Spiegel seiner Erinnerung beglückender aufgefaßt als von dem Jünglinge, der sie in dem Brausen seines Lebens überhört, und an der grauen Wimper mag manche beseligendere und mit¬ unter schmerzlichere Thräne hängen als der feurige Funke, der in überwältigender Empfindung aus dem Auge des Jünglings springt, und keine Spur hinter¬ läßt. Ich lese jezt selten mehr die größten Geister im Zusammenhange -- mit kleineren thue ich es wohl, weil sie in einzelnen Stellen minder bedeutend sind -- aber ich lese immer in ihnen, und werde wohl bis zu
werk, was im eignen Herzen lebt. Daher kömmt die Erſcheinung, daß Werke von bedeutend verſchiedener Geltung die Jugend auf gleiche Art entzücken können, und daß Erzeugniſſe höchſter Größe, wenn ſie keine Wiederſpieglung der Jugendblüthe ſind, nicht erfaßt werden können. In dem Alter werden ſelbſt ſolche Glanzſtellen der Jugend, die ſchon ſehr ferne liegen, wie etwa die Sehnſucht der erſten Liebe mit ihrer Dunkelheit und Grenzenloſigkeit, oder wie die holde und berauſchende Seligkeit der Gegenliebe, oder die Träume künftiger Thaten und künftiger Größe, der Blick in ein unendliches erſt kommendes Leben oder wie das erſte Stammeln in irgend einer Kunſt von dem Greiſe in dem ſanften Spiegel ſeiner Erinnerung beglückender aufgefaßt als von dem Jünglinge, der ſie in dem Brauſen ſeines Lebens überhört, und an der grauen Wimper mag manche beſeligendere und mit¬ unter ſchmerzlichere Thräne hängen als der feurige Funke, der in überwältigender Empfindung aus dem Auge des Jünglings ſpringt, und keine Spur hinter¬ läßt. Ich leſe jezt ſelten mehr die größten Geiſter im Zuſammenhange — mit kleineren thue ich es wohl, weil ſie in einzelnen Stellen minder bedeutend ſind — aber ich leſe immer in ihnen, und werde wohl bis zu
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0066"n="52"/>
werk, was im eignen Herzen lebt. Daher kömmt die<lb/>
Erſcheinung, daß Werke von bedeutend verſchiedener<lb/>
Geltung die Jugend auf gleiche Art entzücken können,<lb/>
und daß Erzeugniſſe höchſter Größe, wenn ſie keine<lb/>
Wiederſpieglung der Jugendblüthe ſind, nicht erfaßt<lb/>
werden können. In dem Alter werden ſelbſt ſolche<lb/>
Glanzſtellen der Jugend, die ſchon ſehr ferne liegen,<lb/>
wie etwa die Sehnſucht der erſten Liebe mit ihrer<lb/>
Dunkelheit und Grenzenloſigkeit, oder wie die holde<lb/>
und berauſchende Seligkeit der Gegenliebe, oder die<lb/>
Träume künftiger Thaten und künftiger Größe, der<lb/>
Blick in ein unendliches erſt kommendes Leben oder<lb/>
wie das erſte Stammeln in irgend einer Kunſt von<lb/>
dem Greiſe in dem ſanften Spiegel ſeiner Erinnerung<lb/>
beglückender aufgefaßt als von dem Jünglinge, der ſie<lb/>
in dem Brauſen ſeines Lebens überhört, und an der<lb/>
grauen Wimper mag manche beſeligendere und mit¬<lb/>
unter ſchmerzlichere Thräne hängen als der feurige<lb/>
Funke, der in überwältigender Empfindung aus dem<lb/>
Auge des Jünglings ſpringt, und keine Spur hinter¬<lb/>
läßt. Ich leſe jezt ſelten mehr die größten Geiſter im<lb/>
Zuſammenhange — mit kleineren thue ich es wohl,<lb/>
weil ſie in einzelnen Stellen minder bedeutend ſind —<lb/>
aber ich leſe immer in ihnen, und werde wohl bis zu<lb/></p></div></body></text></TEI>
[52/0066]
werk, was im eignen Herzen lebt. Daher kömmt die
Erſcheinung, daß Werke von bedeutend verſchiedener
Geltung die Jugend auf gleiche Art entzücken können,
und daß Erzeugniſſe höchſter Größe, wenn ſie keine
Wiederſpieglung der Jugendblüthe ſind, nicht erfaßt
werden können. In dem Alter werden ſelbſt ſolche
Glanzſtellen der Jugend, die ſchon ſehr ferne liegen,
wie etwa die Sehnſucht der erſten Liebe mit ihrer
Dunkelheit und Grenzenloſigkeit, oder wie die holde
und berauſchende Seligkeit der Gegenliebe, oder die
Träume künftiger Thaten und künftiger Größe, der
Blick in ein unendliches erſt kommendes Leben oder
wie das erſte Stammeln in irgend einer Kunſt von
dem Greiſe in dem ſanften Spiegel ſeiner Erinnerung
beglückender aufgefaßt als von dem Jünglinge, der ſie
in dem Brauſen ſeines Lebens überhört, und an der
grauen Wimper mag manche beſeligendere und mit¬
unter ſchmerzlichere Thräne hängen als der feurige
Funke, der in überwältigender Empfindung aus dem
Auge des Jünglings ſpringt, und keine Spur hinter¬
läßt. Ich leſe jezt ſelten mehr die größten Geiſter im
Zuſammenhange — mit kleineren thue ich es wohl,
weil ſie in einzelnen Stellen minder bedeutend ſind —
aber ich leſe immer in ihnen, und werde wohl bis zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/66>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.