Ich blieb so lange in dem Gebirge, als es nur möglich war, und als die zunehmende Kälte einen Aufenthalt im Freien nicht ganz und gar verboth.
Im spätesten Herbste ging ich noch einmal zu mei¬ nem Gastfreunde in das Rosenhaus. Es war zur Zeit, da in dem Gebirge schon manigfaltige Schnee¬ lasten auf den Höhen lagen, und das flache Land sich schon jedes Schmuckes entäußert hatte. Der Garten meines Freundes war kahl, die Bienenhütte war in Stroh eingehüllt, in den laublosen Zweigen schrillte nur noch manche vereinzelte Kohlmeise oder ein Win¬ tervogel, und über ihnen zogen in dem grauen Him¬ mel die grauen Dreiecke der Gänse nach dem Süden. Wir saßen in den langen Abenden bei dem Feuer des Kamins, arbeiteten unter Tags an der Einhüllung und Einwinterung der Gegenstände, die es bedurf¬ ten, oder machten an manchem Nachmittage einen Spaziergang, wenn der regsame Nebel die Hügel und die Thäler und die Ebenen umwandelte.
Ich zeigte meinem Gastfreunde meine Versuche im landschaftlichen Malen, weil ich es gewissermaßen für eine Falschheit gehalten hätte, ihm nichts von der Veränderung zu sagen, die in mir vorgegangen war. Ich scheute mich sehr, die Versuche vorzulegen, ich
Ich blieb ſo lange in dem Gebirge, als es nur möglich war, und als die zunehmende Kälte einen Aufenthalt im Freien nicht ganz und gar verboth.
Im ſpäteſten Herbſte ging ich noch einmal zu mei¬ nem Gaſtfreunde in das Roſenhaus. Es war zur Zeit, da in dem Gebirge ſchon manigfaltige Schnee¬ laſten auf den Höhen lagen, und das flache Land ſich ſchon jedes Schmuckes entäußert hatte. Der Garten meines Freundes war kahl, die Bienenhütte war in Stroh eingehüllt, in den laubloſen Zweigen ſchrillte nur noch manche vereinzelte Kohlmeiſe oder ein Win¬ tervogel, und über ihnen zogen in dem grauen Him¬ mel die grauen Dreiecke der Gänſe nach dem Süden. Wir ſaßen in den langen Abenden bei dem Feuer des Kamins, arbeiteten unter Tags an der Einhüllung und Einwinterung der Gegenſtände, die es bedurf¬ ten, oder machten an manchem Nachmittage einen Spaziergang, wenn der regſame Nebel die Hügel und die Thäler und die Ebenen umwandelte.
Ich zeigte meinem Gaſtfreunde meine Verſuche im landſchaftlichen Malen, weil ich es gewiſſermaßen für eine Falſchheit gehalten hätte, ihm nichts von der Veränderung zu ſagen, die in mir vorgegangen war. Ich ſcheute mich ſehr, die Verſuche vorzulegen, ich
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0057"n="43"/><p>Ich blieb ſo lange in dem Gebirge, als es nur<lb/>
möglich war, und als die zunehmende Kälte einen<lb/>
Aufenthalt im Freien nicht ganz und gar verboth.</p><lb/><p>Im ſpäteſten Herbſte ging ich noch einmal zu mei¬<lb/>
nem Gaſtfreunde in das Roſenhaus. Es war zur<lb/>
Zeit, da in dem Gebirge ſchon manigfaltige Schnee¬<lb/>
laſten auf den Höhen lagen, und das flache Land ſich<lb/>ſchon jedes Schmuckes entäußert hatte. Der Garten<lb/>
meines Freundes war kahl, die Bienenhütte war in<lb/>
Stroh eingehüllt, in den laubloſen Zweigen ſchrillte<lb/>
nur noch manche vereinzelte Kohlmeiſe oder ein Win¬<lb/>
tervogel, und über ihnen zogen in dem grauen Him¬<lb/>
mel die grauen Dreiecke der Gänſe nach dem Süden.<lb/>
Wir ſaßen in den langen Abenden bei dem Feuer des<lb/>
Kamins, arbeiteten unter Tags an der Einhüllung<lb/>
und Einwinterung der Gegenſtände, die es bedurf¬<lb/>
ten, oder machten an manchem Nachmittage einen<lb/>
Spaziergang, wenn der regſame Nebel die Hügel und<lb/>
die Thäler und die Ebenen umwandelte.</p><lb/><p>Ich zeigte meinem Gaſtfreunde meine Verſuche im<lb/>
landſchaftlichen Malen, weil ich es gewiſſermaßen für<lb/>
eine Falſchheit gehalten hätte, ihm nichts von der<lb/>
Veränderung zu ſagen, die in mir vorgegangen war.<lb/>
Ich ſcheute mich ſehr, die Verſuche vorzulegen, ich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[43/0057]
Ich blieb ſo lange in dem Gebirge, als es nur
möglich war, und als die zunehmende Kälte einen
Aufenthalt im Freien nicht ganz und gar verboth.
Im ſpäteſten Herbſte ging ich noch einmal zu mei¬
nem Gaſtfreunde in das Roſenhaus. Es war zur
Zeit, da in dem Gebirge ſchon manigfaltige Schnee¬
laſten auf den Höhen lagen, und das flache Land ſich
ſchon jedes Schmuckes entäußert hatte. Der Garten
meines Freundes war kahl, die Bienenhütte war in
Stroh eingehüllt, in den laubloſen Zweigen ſchrillte
nur noch manche vereinzelte Kohlmeiſe oder ein Win¬
tervogel, und über ihnen zogen in dem grauen Him¬
mel die grauen Dreiecke der Gänſe nach dem Süden.
Wir ſaßen in den langen Abenden bei dem Feuer des
Kamins, arbeiteten unter Tags an der Einhüllung
und Einwinterung der Gegenſtände, die es bedurf¬
ten, oder machten an manchem Nachmittage einen
Spaziergang, wenn der regſame Nebel die Hügel und
die Thäler und die Ebenen umwandelte.
Ich zeigte meinem Gaſtfreunde meine Verſuche im
landſchaftlichen Malen, weil ich es gewiſſermaßen für
eine Falſchheit gehalten hätte, ihm nichts von der
Veränderung zu ſagen, die in mir vorgegangen war.
Ich ſcheute mich ſehr, die Verſuche vorzulegen, ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/57>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.