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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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gehoben wurden, noch heute fort, daß sie durch innere
Kraft an Höhe ersezen oder übertreffen, was sie von
Außen her verlieren? Hört die Hebungskraft einmal
auf? Ist nach Jahrmillionen die Erde weiter abge¬
kühlt, ist ihre Rinde dicker, so daß der heiße Fluß in
ihrem Innern seine Kristalle nicht mehr durch sie em¬
por zu treiben vermag? Oder legt er langsam und
unmerklich stets die Ränder dieser Rinde auseinander,
wenn er durch sie seine Geschiebe hinan hebt? Wenn
die Erde Wärme ausstrahlt, und immer mehr erkal¬
tet, wird sie nicht kleiner? Sind dann die Umdre¬
hungsgeschwindigkeiten ihrer Kreise nicht geringer?
Ändert das nicht die Passate? Werden Winde Wol¬
ken Regen nicht anders? Wie viele Millionen Jahre
müssen verfließen, bis ein menschliches Werkzeug die
Änderung messen kann?

Solche Fragen stimmten mich ernst und feierlich,
und es war, als wäre in mein Wesen ein inhaltreiche¬
res Leben gekommen. Wenn ich gleich weniger sam¬
melte und zusammentrug als früher, so war es doch,
als würde ich in meinem Innern bei weitem mehr ge¬
fördert als in vergangenen Zeiten.

Wenn eine Geschichte des Nachdenkens und For¬
schens werth ist, so ist es die Geschichte der Erde, die

gehoben wurden, noch heute fort, daß ſie durch innere
Kraft an Höhe erſezen oder übertreffen, was ſie von
Außen her verlieren? Hört die Hebungskraft einmal
auf? Iſt nach Jahrmillionen die Erde weiter abge¬
kühlt, iſt ihre Rinde dicker, ſo daß der heiße Fluß in
ihrem Innern ſeine Kriſtalle nicht mehr durch ſie em¬
por zu treiben vermag? Oder legt er langſam und
unmerklich ſtets die Ränder dieſer Rinde auseinander,
wenn er durch ſie ſeine Geſchiebe hinan hebt? Wenn
die Erde Wärme ausſtrahlt, und immer mehr erkal¬
tet, wird ſie nicht kleiner? Sind dann die Umdre¬
hungsgeſchwindigkeiten ihrer Kreiſe nicht geringer?
Ändert das nicht die Paſſate? Werden Winde Wol¬
ken Regen nicht anders? Wie viele Millionen Jahre
müſſen verfließen, bis ein menſchliches Werkzeug die
Änderung meſſen kann?

Solche Fragen ſtimmten mich ernſt und feierlich,
und es war, als wäre in mein Weſen ein inhaltreiche¬
res Leben gekommen. Wenn ich gleich weniger ſam¬
melte und zuſammentrug als früher, ſo war es doch,
als würde ich in meinem Innern bei weitem mehr ge¬
fördert als in vergangenen Zeiten.

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[38/0052] gehoben wurden, noch heute fort, daß ſie durch innere Kraft an Höhe erſezen oder übertreffen, was ſie von Außen her verlieren? Hört die Hebungskraft einmal auf? Iſt nach Jahrmillionen die Erde weiter abge¬ kühlt, iſt ihre Rinde dicker, ſo daß der heiße Fluß in ihrem Innern ſeine Kriſtalle nicht mehr durch ſie em¬ por zu treiben vermag? Oder legt er langſam und unmerklich ſtets die Ränder dieſer Rinde auseinander, wenn er durch ſie ſeine Geſchiebe hinan hebt? Wenn die Erde Wärme ausſtrahlt, und immer mehr erkal¬ tet, wird ſie nicht kleiner? Sind dann die Umdre¬ hungsgeſchwindigkeiten ihrer Kreiſe nicht geringer? Ändert das nicht die Paſſate? Werden Winde Wol¬ ken Regen nicht anders? Wie viele Millionen Jahre müſſen verfließen, bis ein menſchliches Werkzeug die Änderung meſſen kann? Solche Fragen ſtimmten mich ernſt und feierlich, und es war, als wäre in mein Weſen ein inhaltreiche¬ res Leben gekommen. Wenn ich gleich weniger ſam¬ melte und zuſammentrug als früher, ſo war es doch, als würde ich in meinem Innern bei weitem mehr ge¬ fördert als in vergangenen Zeiten. Wenn eine Geſchichte des Nachdenkens und For¬ ſchens werth iſt, ſo iſt es die Geſchichte der Erde, die

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/52>, abgerufen am 22.11.2024.