"Ich habe manchen Schmerz um euch empfunden, wenn ich in den Feldern herumging."
"Ich habe es ja nicht gewußt, Natalie, und weil ich es nicht wußte, so mußte ich mein Inneres ver¬ bergen, und gegen jedermann schweigen, gegen den Vater gegen die Mutter gegen die Schwester, und so¬ gar gegen mich. Ich bin fortgefahren, das zu thun, was ich für meine Pflicht erachtete, ich bin in die Berge gegangen, habe mir ihre Zusammensezung aufgeschrieben, habe Gesteine gesammelt und Seen gemessen, ich bin auf den Rath eures Freundes einen Sommer beschäftigungslos in dem Asperhofe gewe¬ sen, bin dann wieder in die Wildniß gegangen und zu der Grenze des Eises emporgestiegen. Ich konnte nur eure Mutter euren Freund und euren Bruder immer wärmer lieben: aber, Natalie, wenn ich auf den Höhen der Berge war, habe ich euer Bild in dem heitern Himmel gesehen, der über mir ausgespannt war, wenn ich auf die festen starren Felsen blickte, so erblickte ich es auch in dem Dufte, der vor denselben webte, wenn ich auf die Länder der Menschen hinaus¬ schaute, so war es in der Stille, die über der Welt gelagert war, und wenn ich zu Hause in die Züge der Meinigen blickte, so schwebte es auch in denen."
„Ich habe manchen Schmerz um euch empfunden, wenn ich in den Feldern herumging.“
„Ich habe es ja nicht gewußt, Natalie, und weil ich es nicht wußte, ſo mußte ich mein Inneres ver¬ bergen, und gegen jedermann ſchweigen, gegen den Vater gegen die Mutter gegen die Schweſter, und ſo¬ gar gegen mich. Ich bin fortgefahren, das zu thun, was ich für meine Pflicht erachtete, ich bin in die Berge gegangen, habe mir ihre Zuſammenſezung aufgeſchrieben, habe Geſteine geſammelt und Seen gemeſſen, ich bin auf den Rath eures Freundes einen Sommer beſchäftigungslos in dem Asperhofe gewe¬ ſen, bin dann wieder in die Wildniß gegangen und zu der Grenze des Eiſes emporgeſtiegen. Ich konnte nur eure Mutter euren Freund und euren Bruder immer wärmer lieben: aber, Natalie, wenn ich auf den Höhen der Berge war, habe ich euer Bild in dem heitern Himmel geſehen, der über mir ausgeſpannt war, wenn ich auf die feſten ſtarren Felſen blickte, ſo erblickte ich es auch in dem Dufte, der vor denſelben webte, wenn ich auf die Länder der Menſchen hinaus¬ ſchaute, ſo war es in der Stille, die über der Welt gelagert war, und wenn ich zu Hauſe in die Züge der Meinigen blickte, ſo ſchwebte es auch in denen.“
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„Ich habe manchen Schmerz um euch empfunden,
wenn ich in den Feldern herumging.“
„Ich habe es ja nicht gewußt, Natalie, und weil
ich es nicht wußte, ſo mußte ich mein Inneres ver¬
bergen, und gegen jedermann ſchweigen, gegen den
Vater gegen die Mutter gegen die Schweſter, und ſo¬
gar gegen mich. Ich bin fortgefahren, das zu thun,
was ich für meine Pflicht erachtete, ich bin in die
Berge gegangen, habe mir ihre Zuſammenſezung
aufgeſchrieben, habe Geſteine geſammelt und Seen
gemeſſen, ich bin auf den Rath eures Freundes einen
Sommer beſchäftigungslos in dem Asperhofe gewe¬
ſen, bin dann wieder in die Wildniß gegangen und
zu der Grenze des Eiſes emporgeſtiegen. Ich konnte
nur eure Mutter euren Freund und euren Bruder
immer wärmer lieben: aber, Natalie, wenn ich auf den
Höhen der Berge war, habe ich euer Bild in dem
heitern Himmel geſehen, der über mir ausgeſpannt
war, wenn ich auf die feſten ſtarren Felſen blickte, ſo
erblickte ich es auch in dem Dufte, der vor denſelben
webte, wenn ich auf die Länder der Menſchen hinaus¬
ſchaute, ſo war es in der Stille, die über der Welt
gelagert war, und wenn ich zu Hauſe in die Züge der
Meinigen blickte, ſo ſchwebte es auch in denen.“
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/422>, abgerufen am 22.11.2024.
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