bloßer Stoff nicht so hoch im Preise steht, wie die gesuchten Steine, die nur in kleinen Stücken vorkom¬ men, so ist er doch so auserlesen und so wunderbar, daß er nicht bloß in der weißen sondern auch in jeder andern Farbe begehrt wird, daß man die verschieden¬ sten Dinge aus ihm macht, und daß das Höchste, was menschliche bildende Kunst darzustellen vermag, in der Reinheit des weißen Marmors ausgeführt wird."
"Das ist es, was mich auch immer sehr ergriff, wenn ich hier saß, und betrachtete," sagte sie, "daß in dem harten Steine das Weiche und Runde der Ge¬ staltung ausgedrückt ist, und daß man zu der Dar¬ stellung des Schönsten in der Welt den Stoff nimmt, der keine Makel hat. Dies sehe ich sogar immer an der Gestalt auf der Treppe unsers Freundes, welche noch schöner und ehrfurchterweckender als dieses Bild¬ werk hier ist, wenn gleich ihr Stoff in der Länge der vielen Jahre, die er gedauert hat, verunreinigt wor¬ den war."
"Es ist gewiß nicht ohne Bedeutung," entgegnete ich, "daß die Menschen in den edelsten und selbst hie und da ältesten Völkern zu diesem Stoffe griffen, wenn sie hohes Göttliches oder Menschliches bilden wollten,
bloßer Stoff nicht ſo hoch im Preiſe ſteht, wie die geſuchten Steine, die nur in kleinen Stücken vorkom¬ men, ſo iſt er doch ſo auserleſen und ſo wunderbar, daß er nicht bloß in der weißen ſondern auch in jeder andern Farbe begehrt wird, daß man die verſchieden¬ ſten Dinge aus ihm macht, und daß das Höchſte, was menſchliche bildende Kunſt darzuſtellen vermag, in der Reinheit des weißen Marmors ausgeführt wird.“
„Das iſt es, was mich auch immer ſehr ergriff, wenn ich hier ſaß, und betrachtete,“ ſagte ſie, „daß in dem harten Steine das Weiche und Runde der Ge¬ ſtaltung ausgedrückt iſt, und daß man zu der Dar¬ ſtellung des Schönſten in der Welt den Stoff nimmt, der keine Makel hat. Dies ſehe ich ſogar immer an der Geſtalt auf der Treppe unſers Freundes, welche noch ſchöner und ehrfurchterweckender als dieſes Bild¬ werk hier iſt, wenn gleich ihr Stoff in der Länge der vielen Jahre, die er gedauert hat, verunreinigt wor¬ den war.“
„Es iſt gewiß nicht ohne Bedeutung,“ entgegnete ich, „daß die Menſchen in den edelſten und ſelbſt hie und da älteſten Völkern zu dieſem Stoffe griffen, wenn ſie hohes Göttliches oder Menſchliches bilden wollten,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0412"n="398"/>
bloßer Stoff nicht ſo hoch im Preiſe ſteht, wie die<lb/>
geſuchten Steine, die nur in kleinen Stücken vorkom¬<lb/>
men, ſo iſt er doch ſo auserleſen und ſo wunderbar,<lb/>
daß er nicht bloß in der weißen ſondern auch in jeder<lb/>
andern Farbe begehrt wird, daß man die verſchieden¬<lb/>ſten Dinge aus ihm macht, und daß das Höchſte,<lb/>
was menſchliche bildende Kunſt darzuſtellen vermag,<lb/>
in der Reinheit des weißen Marmors ausgeführt<lb/>
wird.“</p><lb/><p>„Das iſt es, was mich auch immer ſehr ergriff,<lb/>
wenn ich hier ſaß, und betrachtete,“ſagte ſie, „daß in<lb/>
dem harten Steine das Weiche und Runde der Ge¬<lb/>ſtaltung ausgedrückt iſt, und daß man zu der Dar¬<lb/>ſtellung des Schönſten in der Welt den Stoff nimmt,<lb/>
der keine Makel hat. Dies ſehe ich ſogar immer an<lb/>
der Geſtalt auf der Treppe unſers Freundes, welche<lb/>
noch ſchöner und ehrfurchterweckender als dieſes Bild¬<lb/>
werk hier iſt, wenn gleich ihr Stoff in der Länge der<lb/>
vielen Jahre, die er gedauert hat, verunreinigt wor¬<lb/>
den war.“</p><lb/><p>„Es iſt gewiß nicht ohne Bedeutung,“ entgegnete<lb/>
ich, „daß die Menſchen in den edelſten und ſelbſt hie<lb/>
und da älteſten Völkern zu dieſem Stoffe griffen, wenn<lb/>ſie hohes Göttliches oder Menſchliches bilden wollten,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[398/0412]
bloßer Stoff nicht ſo hoch im Preiſe ſteht, wie die
geſuchten Steine, die nur in kleinen Stücken vorkom¬
men, ſo iſt er doch ſo auserleſen und ſo wunderbar,
daß er nicht bloß in der weißen ſondern auch in jeder
andern Farbe begehrt wird, daß man die verſchieden¬
ſten Dinge aus ihm macht, und daß das Höchſte,
was menſchliche bildende Kunſt darzuſtellen vermag,
in der Reinheit des weißen Marmors ausgeführt
wird.“
„Das iſt es, was mich auch immer ſehr ergriff,
wenn ich hier ſaß, und betrachtete,“ ſagte ſie, „daß in
dem harten Steine das Weiche und Runde der Ge¬
ſtaltung ausgedrückt iſt, und daß man zu der Dar¬
ſtellung des Schönſten in der Welt den Stoff nimmt,
der keine Makel hat. Dies ſehe ich ſogar immer an
der Geſtalt auf der Treppe unſers Freundes, welche
noch ſchöner und ehrfurchterweckender als dieſes Bild¬
werk hier iſt, wenn gleich ihr Stoff in der Länge der
vielen Jahre, die er gedauert hat, verunreinigt wor¬
den war.“
„Es iſt gewiß nicht ohne Bedeutung,“ entgegnete
ich, „daß die Menſchen in den edelſten und ſelbſt hie
und da älteſten Völkern zu dieſem Stoffe griffen, wenn
ſie hohes Göttliches oder Menſchliches bilden wollten,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/412>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.