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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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gleichmäßig wie in früheren Jahren aus abendlichen
Kreisen, in denen gesprochen wurde, oder aus Ge¬
sellschaften, in denen etwas Musik oder gar Tanz
vorkam. An dem lezteren nahm ich gar keinen Theil,
und die Schwester, welche, wie ich schon seit län¬
ger wahrnahm, schier alle meine Neigungen theilte,
that es sehr wenig, und flüchtete an solchen Abenden
sehr gerne zu mir. Ich hatte die Leute, darunter aber
vorzüglich die jungen, welche bei solchen Gelegen¬
heiten zu uns kamen, schon genau kennen gelernt,
und wenn ich in früherer Zeit eine Scheu, ja sogar
eine gewisse Gattung von Ehrfurcht vor ihnen gehabt
hatte, so war dies jezt nicht mehr der Fall; ich hatte
durch Nachdenken und durch Erfahrungen im Um¬
gange mit andern Menschen einsehen gelernt, daß
das, wovor ich besonders eine Scheu hatte, nehmlich
ihre Sicherheit und Vornehmheit, nur ein Ding ist,
welches man lernt, wenn man sehr viel in solchen Ge¬
sellschaften ist, wie sie bei uns waren, und wenn man
in diesen Gesellschaften viel spricht, und in den Vor¬
dergrund tritt. Und daß dieses Ding nicht schwer zu
erlernen ist, sah ich daraus, daß es solche inne hatten,
deren Geisteskräfte hoch zu achten ich nicht veranlaßt
war. Meine Erfahrungen an Menschen hatte ich

gleichmäßig wie in früheren Jahren aus abendlichen
Kreiſen, in denen geſprochen wurde, oder aus Ge¬
ſellſchaften, in denen etwas Muſik oder gar Tanz
vorkam. An dem lezteren nahm ich gar keinen Theil,
und die Schweſter, welche, wie ich ſchon ſeit län¬
ger wahrnahm, ſchier alle meine Neigungen theilte,
that es ſehr wenig, und flüchtete an ſolchen Abenden
ſehr gerne zu mir. Ich hatte die Leute, darunter aber
vorzüglich die jungen, welche bei ſolchen Gelegen¬
heiten zu uns kamen, ſchon genau kennen gelernt,
und wenn ich in früherer Zeit eine Scheu, ja ſogar
eine gewiſſe Gattung von Ehrfurcht vor ihnen gehabt
hatte, ſo war dies jezt nicht mehr der Fall; ich hatte
durch Nachdenken und durch Erfahrungen im Um¬
gange mit andern Menſchen einſehen gelernt, daß
das, wovor ich beſonders eine Scheu hatte, nehmlich
ihre Sicherheit und Vornehmheit, nur ein Ding iſt,
welches man lernt, wenn man ſehr viel in ſolchen Ge¬
ſellſchaften iſt, wie ſie bei uns waren, und wenn man
in dieſen Geſellſchaften viel ſpricht, und in den Vor¬
dergrund tritt. Und daß dieſes Ding nicht ſchwer zu
erlernen iſt, ſah ich daraus, daß es ſolche inne hatten,
deren Geiſteskräfte hoch zu achten ich nicht veranlaßt
war. Meine Erfahrungen an Menſchen hatte ich

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[277/0291] gleichmäßig wie in früheren Jahren aus abendlichen Kreiſen, in denen geſprochen wurde, oder aus Ge¬ ſellſchaften, in denen etwas Muſik oder gar Tanz vorkam. An dem lezteren nahm ich gar keinen Theil, und die Schweſter, welche, wie ich ſchon ſeit län¬ ger wahrnahm, ſchier alle meine Neigungen theilte, that es ſehr wenig, und flüchtete an ſolchen Abenden ſehr gerne zu mir. Ich hatte die Leute, darunter aber vorzüglich die jungen, welche bei ſolchen Gelegen¬ heiten zu uns kamen, ſchon genau kennen gelernt, und wenn ich in früherer Zeit eine Scheu, ja ſogar eine gewiſſe Gattung von Ehrfurcht vor ihnen gehabt hatte, ſo war dies jezt nicht mehr der Fall; ich hatte durch Nachdenken und durch Erfahrungen im Um¬ gange mit andern Menſchen einſehen gelernt, daß das, wovor ich beſonders eine Scheu hatte, nehmlich ihre Sicherheit und Vornehmheit, nur ein Ding iſt, welches man lernt, wenn man ſehr viel in ſolchen Ge¬ ſellſchaften iſt, wie ſie bei uns waren, und wenn man in dieſen Geſellſchaften viel ſpricht, und in den Vor¬ dergrund tritt. Und daß dieſes Ding nicht ſchwer zu erlernen iſt, ſah ich daraus, daß es ſolche inne hatten, deren Geiſteskräfte hoch zu achten ich nicht veranlaßt war. Meine Erfahrungen an Menſchen hatte ich

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/291>, abgerufen am 25.11.2024.