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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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sehr oft darauf hinwies, daß ihr Geist verzogen wor¬
den sein mag, wenn sie etwas Weichliches oder etwas
zu sehr Herausforderndes oder etwas hatten, das
schon über ihre Jahre hinausging, ohne doch Kraft
zu zeigen: so war Gustavs Antliz so kräftig, daß es
vor Gesundheit zu schwellen schien, es war so ein¬
fach, daß es gleichsam keinen Wunsch keine Sorge
kein Leiden keine Bewegung aussprach, und doch war
es wieder so weich und gütig, daß man, wenn der
feurige Blick nicht gewesen wäre, in das Angesicht
eines Mädchens zu blicken geglaubt haben würde.

Ich zeichnete und malte meine Köpfe jezt anders
als noch kurz vorher. Wenn ich früher, vorzüglich bei
Beginne dieser meiner Beschäftigung, nur auf Rich¬
tigkeit der äußeren Linien sah, so weit ich dieselbe
darzustellen vermochte, und wenn ich nur die Farben
annäherungsweise zu erringen im Stande war, so
glaubte ich, mein Ziel erreicht zu haben: jezt sah ich
aber aus den Ausdruck, gleichsam, wenn ich das Wort
gebrauchen darf, auf die Seele, welche durch die Li¬
nien und die Farben dargestellt wird. Seit ich die
Marmorgestalt in dem Hause meines Gastfreundes
so lieben gelernt hatte, und in die Bilder mich ver¬
tiefte, welche ich in dem Rosenhause getroffen hatte,

ſehr oft darauf hinwies, daß ihr Geiſt verzogen wor¬
den ſein mag, wenn ſie etwas Weichliches oder etwas
zu ſehr Herausforderndes oder etwas hatten, das
ſchon über ihre Jahre hinausging, ohne doch Kraft
zu zeigen: ſo war Guſtavs Antliz ſo kräftig, daß es
vor Geſundheit zu ſchwellen ſchien, es war ſo ein¬
fach, daß es gleichſam keinen Wunſch keine Sorge
kein Leiden keine Bewegung ausſprach, und doch war
es wieder ſo weich und gütig, daß man, wenn der
feurige Blick nicht geweſen wäre, in das Angeſicht
eines Mädchens zu blicken geglaubt haben würde.

Ich zeichnete und malte meine Köpfe jezt anders
als noch kurz vorher. Wenn ich früher, vorzüglich bei
Beginne dieſer meiner Beſchäftigung, nur auf Rich¬
tigkeit der äußeren Linien ſah, ſo weit ich dieſelbe
darzuſtellen vermochte, und wenn ich nur die Farben
annäherungsweiſe zu erringen im Stande war, ſo
glaubte ich, mein Ziel erreicht zu haben: jezt ſah ich
aber aus den Ausdruck, gleichſam, wenn ich das Wort
gebrauchen darf, auf die Seele, welche durch die Li¬
nien und die Farben dargeſtellt wird. Seit ich die
Marmorgeſtalt in dem Hauſe meines Gaſtfreundes
ſo lieben gelernt hatte, und in die Bilder mich ver¬
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[256/0270] ſehr oft darauf hinwies, daß ihr Geiſt verzogen wor¬ den ſein mag, wenn ſie etwas Weichliches oder etwas zu ſehr Herausforderndes oder etwas hatten, das ſchon über ihre Jahre hinausging, ohne doch Kraft zu zeigen: ſo war Guſtavs Antliz ſo kräftig, daß es vor Geſundheit zu ſchwellen ſchien, es war ſo ein¬ fach, daß es gleichſam keinen Wunſch keine Sorge kein Leiden keine Bewegung ausſprach, und doch war es wieder ſo weich und gütig, daß man, wenn der feurige Blick nicht geweſen wäre, in das Angeſicht eines Mädchens zu blicken geglaubt haben würde. Ich zeichnete und malte meine Köpfe jezt anders als noch kurz vorher. Wenn ich früher, vorzüglich bei Beginne dieſer meiner Beſchäftigung, nur auf Rich¬ tigkeit der äußeren Linien ſah, ſo weit ich dieſelbe darzuſtellen vermochte, und wenn ich nur die Farben annäherungsweiſe zu erringen im Stande war, ſo glaubte ich, mein Ziel erreicht zu haben: jezt ſah ich aber aus den Ausdruck, gleichſam, wenn ich das Wort gebrauchen darf, auf die Seele, welche durch die Li¬ nien und die Farben dargeſtellt wird. Seit ich die Marmorgeſtalt in dem Hauſe meines Gaſtfreundes ſo lieben gelernt hatte, und in die Bilder mich ver¬ tiefte, welche ich in dem Roſenhauſe getroffen hatte,

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/270>, abgerufen am 22.11.2024.