von Landschaften, welches ich im vorigen Jahre mit der Schwester begonnen hatte, nicht bei Seite gesezt. Ich nahm mit ihr die Zeichnungen vor, welche sie im vergangenen Sommer während meiner Abwesenheit gemacht hatte, und so wie ich von meinem Gastfreunde von Eustach und von dem Vater über die Fehler be¬ lehrt worden war, die sich in meinen Landschaftsver¬ suchen befanden, so belehrte ich Klotilden wieder über die ihrigen.
Seit ich Mathilden kannte, besonders aber jezt, nachdem ich öfter in ihrer Gesellschaft gewesen war, und im Spätherbste die Reise mit ihr und den andern in das Hochland gemacht hatte, war ich auch auf die Angesichter ältlicher und alter Frauen aufmerksam ge¬ worden. Man thut sehr Unrecht, und ich bin mir be¬ wußt, daß ich es auch gethan habe, und gewiß han¬ deln andere Leute in ihrer Jugend ebenfalls so, wenn man die Angesichter von Frauen und Mädchen, so¬ bald sie ein gewisses Alter erreicht haben, sofort be¬ seitigt, und sie für etwas hält, das die Betrachtung nicht mehr lohnt. Ich fing jezt zu denken an, daß es anders sei. Die große Schönheit und Jugend reißt unsere Aufmerksamkeit hin, und erregt ein tiefstes Ge¬ fallen; warum sollten wir aber mit dem Geiste nicht
von Landſchaften, welches ich im vorigen Jahre mit der Schweſter begonnen hatte, nicht bei Seite geſezt. Ich nahm mit ihr die Zeichnungen vor, welche ſie im vergangenen Sommer während meiner Abweſenheit gemacht hatte, und ſo wie ich von meinem Gaſtfreunde von Euſtach und von dem Vater über die Fehler be¬ lehrt worden war, die ſich in meinen Landſchaftsver¬ ſuchen befanden, ſo belehrte ich Klotilden wieder über die ihrigen.
Seit ich Mathilden kannte, beſonders aber jezt, nachdem ich öfter in ihrer Geſellſchaft geweſen war, und im Spätherbſte die Reiſe mit ihr und den andern in das Hochland gemacht hatte, war ich auch auf die Angeſichter ältlicher und alter Frauen aufmerkſam ge¬ worden. Man thut ſehr Unrecht, und ich bin mir be¬ wußt, daß ich es auch gethan habe, und gewiß han¬ deln andere Leute in ihrer Jugend ebenfalls ſo, wenn man die Angeſichter von Frauen und Mädchen, ſo¬ bald ſie ein gewiſſes Alter erreicht haben, ſofort be¬ ſeitigt, und ſie für etwas hält, das die Betrachtung nicht mehr lohnt. Ich fing jezt zu denken an, daß es anders ſei. Die große Schönheit und Jugend reißt unſere Aufmerkſamkeit hin, und erregt ein tiefſtes Ge¬ fallen; warum ſollten wir aber mit dem Geiſte nicht
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0266"n="252"/>
von Landſchaften, welches ich im vorigen Jahre mit<lb/>
der Schweſter begonnen hatte, nicht bei Seite geſezt.<lb/>
Ich nahm mit ihr die Zeichnungen vor, welche ſie im<lb/>
vergangenen Sommer während meiner Abweſenheit<lb/>
gemacht hatte, und ſo wie ich von meinem Gaſtfreunde<lb/>
von Euſtach und von dem Vater über die Fehler be¬<lb/>
lehrt worden war, die ſich in meinen Landſchaftsver¬<lb/>ſuchen befanden, ſo belehrte ich Klotilden wieder über<lb/>
die ihrigen.</p><lb/><p>Seit ich Mathilden kannte, beſonders aber jezt,<lb/>
nachdem ich öfter in ihrer Geſellſchaft geweſen war,<lb/>
und im Spätherbſte die Reiſe mit ihr und den andern<lb/>
in das Hochland gemacht hatte, war ich auch auf die<lb/>
Angeſichter ältlicher und alter Frauen aufmerkſam ge¬<lb/>
worden. Man thut ſehr Unrecht, und ich bin mir be¬<lb/>
wußt, daß ich es auch gethan habe, und gewiß han¬<lb/>
deln andere Leute in ihrer Jugend ebenfalls ſo, wenn<lb/>
man die Angeſichter von Frauen und Mädchen, ſo¬<lb/>
bald ſie ein gewiſſes Alter erreicht haben, ſofort be¬<lb/>ſeitigt, und ſie für etwas hält, das die Betrachtung<lb/>
nicht mehr lohnt. Ich fing jezt zu denken an, daß es<lb/>
anders ſei. Die große Schönheit und Jugend reißt<lb/>
unſere Aufmerkſamkeit hin, und erregt ein tiefſtes Ge¬<lb/>
fallen; warum ſollten wir aber mit dem Geiſte nicht<lb/></p></div></body></text></TEI>
[252/0266]
von Landſchaften, welches ich im vorigen Jahre mit
der Schweſter begonnen hatte, nicht bei Seite geſezt.
Ich nahm mit ihr die Zeichnungen vor, welche ſie im
vergangenen Sommer während meiner Abweſenheit
gemacht hatte, und ſo wie ich von meinem Gaſtfreunde
von Euſtach und von dem Vater über die Fehler be¬
lehrt worden war, die ſich in meinen Landſchaftsver¬
ſuchen befanden, ſo belehrte ich Klotilden wieder über
die ihrigen.
Seit ich Mathilden kannte, beſonders aber jezt,
nachdem ich öfter in ihrer Geſellſchaft geweſen war,
und im Spätherbſte die Reiſe mit ihr und den andern
in das Hochland gemacht hatte, war ich auch auf die
Angeſichter ältlicher und alter Frauen aufmerkſam ge¬
worden. Man thut ſehr Unrecht, und ich bin mir be¬
wußt, daß ich es auch gethan habe, und gewiß han¬
deln andere Leute in ihrer Jugend ebenfalls ſo, wenn
man die Angeſichter von Frauen und Mädchen, ſo¬
bald ſie ein gewiſſes Alter erreicht haben, ſofort be¬
ſeitigt, und ſie für etwas hält, das die Betrachtung
nicht mehr lohnt. Ich fing jezt zu denken an, daß es
anders ſei. Die große Schönheit und Jugend reißt
unſere Aufmerkſamkeit hin, und erregt ein tiefſtes Ge¬
fallen; warum ſollten wir aber mit dem Geiſte nicht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/266>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.