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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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so war ich doch nie in der Lage, ihn beurtheilen zu
können, wie ich ihn jezt beurtheilte. In Geschäfte
der eintönigsten Art gezwungen, oder vielleicht selber
und freiwillig in diese Geschäfte gegangen -- denn
er führte sie mit einer Ordnung mit einer Rechtlich¬
keit mit einer Ausdauer mit einer Anhänglichkeit an
sie, daß man staunen mußte -- hatte er, der unschein¬
bar seinen bürgerlichen Obliegenheiten nachkam, und
von dem viele nur glauben mochten, daß er in seinem
Hause einige Spielereien von alten Geräthen Bildern
und Büchern habe, vielleicht einen tieferen und ein¬
sameren Kreis um sich gezogen, als ich jezt noch er¬
kennen konnte, und hatte ohne Anspruch an diesem
Kreise fort gebaut. Ich empfand Ehrfurcht vor ihm,
und fragte ihn, ob er die Schriftsteller, von denen er
spreche, griechisch gelesen habe.

"Wie könnte ich sie denn anders gelesen haben,
und noch lesen, wenn ich sie lieben soll," antwortete
er, "die alte vorchristliche Welt hat so ganz andere
Vorstellungen als die unsere, die Völkerwanderung
hat so sehr einen Abschnitt in der Geschichte gemacht,
daß die Werke der vorher gewesenen Völker gar nicht
übersezt werden können, weil unsere Sprachen in
ihrem Körper und in ihrem Geiste auf die alten Vor¬

ſo war ich doch nie in der Lage, ihn beurtheilen zu
können, wie ich ihn jezt beurtheilte. In Geſchäfte
der eintönigſten Art gezwungen, oder vielleicht ſelber
und freiwillig in dieſe Geſchäfte gegangen — denn
er führte ſie mit einer Ordnung mit einer Rechtlich¬
keit mit einer Ausdauer mit einer Anhänglichkeit an
ſie, daß man ſtaunen mußte — hatte er, der unſchein¬
bar ſeinen bürgerlichen Obliegenheiten nachkam, und
von dem viele nur glauben mochten, daß er in ſeinem
Hauſe einige Spielereien von alten Geräthen Bildern
und Büchern habe, vielleicht einen tieferen und ein¬
ſameren Kreis um ſich gezogen, als ich jezt noch er¬
kennen konnte, und hatte ohne Anſpruch an dieſem
Kreiſe fort gebaut. Ich empfand Ehrfurcht vor ihm,
und fragte ihn, ob er die Schriftſteller, von denen er
ſpreche, griechiſch geleſen habe.

„Wie könnte ich ſie denn anders geleſen haben,
und noch leſen, wenn ich ſie lieben ſoll,“ antwortete
er, „die alte vorchriſtliche Welt hat ſo ganz andere
Vorſtellungen als die unſere, die Völkerwanderung
hat ſo ſehr einen Abſchnitt in der Geſchichte gemacht,
daß die Werke der vorher geweſenen Völker gar nicht
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[246/0260] ſo war ich doch nie in der Lage, ihn beurtheilen zu können, wie ich ihn jezt beurtheilte. In Geſchäfte der eintönigſten Art gezwungen, oder vielleicht ſelber und freiwillig in dieſe Geſchäfte gegangen — denn er führte ſie mit einer Ordnung mit einer Rechtlich¬ keit mit einer Ausdauer mit einer Anhänglichkeit an ſie, daß man ſtaunen mußte — hatte er, der unſchein¬ bar ſeinen bürgerlichen Obliegenheiten nachkam, und von dem viele nur glauben mochten, daß er in ſeinem Hauſe einige Spielereien von alten Geräthen Bildern und Büchern habe, vielleicht einen tieferen und ein¬ ſameren Kreis um ſich gezogen, als ich jezt noch er¬ kennen konnte, und hatte ohne Anſpruch an dieſem Kreiſe fort gebaut. Ich empfand Ehrfurcht vor ihm, und fragte ihn, ob er die Schriftſteller, von denen er ſpreche, griechiſch geleſen habe. „Wie könnte ich ſie denn anders geleſen haben, und noch leſen, wenn ich ſie lieben ſoll,“ antwortete er, „die alte vorchriſtliche Welt hat ſo ganz andere Vorſtellungen als die unſere, die Völkerwanderung hat ſo ſehr einen Abſchnitt in der Geſchichte gemacht, daß die Werke der vorher geweſenen Völker gar nicht überſezt werden können, weil unſere Sprachen in ihrem Körper und in ihrem Geiſte auf die alten Vor¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/260>, abgerufen am 25.11.2024.