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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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die Lerchen dieses Frühlings singen hören; aber diese
werden den Zustand nicht so empfinden wie der, der
andere gesehen hat, so wie der Unschuldige seine Un¬
schuld nicht empfindet, der rechtliche Mann seine
Rechtschaffenheit nicht hoch anschlägt, und verdorbene
Zeiten ihre Verdorbenheit nicht kennen."

Ich dachte, da mein Vater so sprach, an meinen
Gastfreund, der ähnlich fühlt, und sich ähnlich aus¬
spricht. Aber es ist ja kein Wunder, daß Männer,
die ein ähnliches Streben haben, also auch ähnlichen
Geist besizen, auf ähnliche Gedanken kommen, beson¬
ders, wenn sie an Alter nicht zu verschieden sind.

Wir betrachteten nun das Einzelne.

Mein Vater hatte Bilder von Tizian Guido Reni
Paul Veronese Annibale Caracci Dominichino Sal¬
vator Rosa Nikolaus Poussin Claude Lorrain Al¬
brecht Dürer den beiden Holbein Lucas Cranach Van
Dyk Rembrand Ostade Potter van der Neer Wou¬
vermann und Jakob Ruisdael. Wir gingen von dem
einen zu dem andern, betrachteten ein jedes, thaten
manches Bild auf die Staffelei, und redeten über ein
jedes. Mein Herz war voll Freude. Es erschien mir
jezt immer deutlicher, was ich beim ersten Anblicke
nur vermuthet hatte, daß die Bilder in dem Gemälde¬

die Lerchen dieſes Frühlings ſingen hören; aber dieſe
werden den Zuſtand nicht ſo empfinden wie der, der
andere geſehen hat, ſo wie der Unſchuldige ſeine Un¬
ſchuld nicht empfindet, der rechtliche Mann ſeine
Rechtſchaffenheit nicht hoch anſchlägt, und verdorbene
Zeiten ihre Verdorbenheit nicht kennen.“

Ich dachte, da mein Vater ſo ſprach, an meinen
Gaſtfreund, der ähnlich fühlt, und ſich ähnlich aus¬
ſpricht. Aber es iſt ja kein Wunder, daß Männer,
die ein ähnliches Streben haben, alſo auch ähnlichen
Geiſt beſizen, auf ähnliche Gedanken kommen, beſon¬
ders, wenn ſie an Alter nicht zu verſchieden ſind.

Wir betrachteten nun das Einzelne.

Mein Vater hatte Bilder von Tizian Guido Reni
Paul Veroneſe Annibale Caracci Dominichino Sal¬
vator Roſa Nikolaus Pouſſin Claude Lorrain Al¬
brecht Dürer den beiden Holbein Lucas Cranach Van
Dyk Rembrand Oſtade Potter van der Neer Wou¬
vermann und Jakob Ruisdael. Wir gingen von dem
einen zu dem andern, betrachteten ein jedes, thaten
manches Bild auf die Staffelei, und redeten über ein
jedes. Mein Herz war voll Freude. Es erſchien mir
jezt immer deutlicher, was ich beim erſten Anblicke
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[236/0250] die Lerchen dieſes Frühlings ſingen hören; aber dieſe werden den Zuſtand nicht ſo empfinden wie der, der andere geſehen hat, ſo wie der Unſchuldige ſeine Un¬ ſchuld nicht empfindet, der rechtliche Mann ſeine Rechtſchaffenheit nicht hoch anſchlägt, und verdorbene Zeiten ihre Verdorbenheit nicht kennen.“ Ich dachte, da mein Vater ſo ſprach, an meinen Gaſtfreund, der ähnlich fühlt, und ſich ähnlich aus¬ ſpricht. Aber es iſt ja kein Wunder, daß Männer, die ein ähnliches Streben haben, alſo auch ähnlichen Geiſt beſizen, auf ähnliche Gedanken kommen, beſon¬ ders, wenn ſie an Alter nicht zu verſchieden ſind. Wir betrachteten nun das Einzelne. Mein Vater hatte Bilder von Tizian Guido Reni Paul Veroneſe Annibale Caracci Dominichino Sal¬ vator Roſa Nikolaus Pouſſin Claude Lorrain Al¬ brecht Dürer den beiden Holbein Lucas Cranach Van Dyk Rembrand Oſtade Potter van der Neer Wou¬ vermann und Jakob Ruisdael. Wir gingen von dem einen zu dem andern, betrachteten ein jedes, thaten manches Bild auf die Staffelei, und redeten über ein jedes. Mein Herz war voll Freude. Es erſchien mir jezt immer deutlicher, was ich beim erſten Anblicke nur vermuthet hatte, daß die Bilder in dem Gemälde¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/250>, abgerufen am 22.11.2024.