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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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zierungen und sogar in Theilen der menschlichen Ge¬
stalt enthielt, und auf demselben Glanzlichter von star¬
ker Wirkung angebracht waren, so erschien das Bild
doch nicht unruhig, ja es beherrschte den Rahmen, und
machte seinen Reichthum zu einer anmuthigen Man¬
nigfaltigkeit, während es selber durch seine Gewalt
sich geltend machte, und in den erhebenden Farben
von würdigem Schmucke umgeben thronte. Ein leiser
Ruf entschlüpfte den Lippen aller Anwesenden, und
ich freute mich, daß ich mich nicht getäuscht hatte,
als ich auf die Macht des Bildes rechnend einen so
reichen Rahmen für dasselbe bestellt hatte. Wir stan¬
den lange davor, und betrachteten die Schönheit der
Farbengebung an den entblößten Theilen so wie die
der Gewandung und der Gründe, was im Vereine
mit der Einfachheit und Hoheit der Linienführung
und mit der maßvollen Anordnung der Flächen ein
so würdevolles und heiliges Ganzes bildete, daß man
sich eines tiefen Ernstes nicht erwehren konnte, der
wie wahrhaftige Andacht war. Erst später fingen wir
zu sprechen an, beredeten dieses und jenes, und ka¬
men, wie es natürlich war, dahin, Vermuthungen
über den Meister zu wagen. Es wurde Guido Reni
genannt, es wurde Tizian genannt, es wurde die

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zierungen und ſogar in Theilen der menſchlichen Ge¬
ſtalt enthielt, und auf demſelben Glanzlichter von ſtar¬
ker Wirkung angebracht waren, ſo erſchien das Bild
doch nicht unruhig, ja es beherrſchte den Rahmen, und
machte ſeinen Reichthum zu einer anmuthigen Man¬
nigfaltigkeit, während es ſelber durch ſeine Gewalt
ſich geltend machte, und in den erhebenden Farben
von würdigem Schmucke umgeben thronte. Ein leiſer
Ruf entſchlüpfte den Lippen aller Anweſenden, und
ich freute mich, daß ich mich nicht getäuſcht hatte,
als ich auf die Macht des Bildes rechnend einen ſo
reichen Rahmen für dasſelbe beſtellt hatte. Wir ſtan¬
den lange davor, und betrachteten die Schönheit der
Farbengebung an den entblößten Theilen ſo wie die
der Gewandung und der Gründe, was im Vereine
mit der Einfachheit und Hoheit der Linienführung
und mit der maßvollen Anordnung der Flächen ein
ſo würdevolles und heiliges Ganzes bildete, daß man
ſich eines tiefen Ernſtes nicht erwehren konnte, der
wie wahrhaftige Andacht war. Erſt ſpäter fingen wir
zu ſprechen an, beredeten dieſes und jenes, und ka¬
men, wie es natürlich war, dahin, Vermuthungen
über den Meiſter zu wagen. Es wurde Guido Reni
genannt, es wurde Tizian genannt, es wurde die

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[163/0177] zierungen und ſogar in Theilen der menſchlichen Ge¬ ſtalt enthielt, und auf demſelben Glanzlichter von ſtar¬ ker Wirkung angebracht waren, ſo erſchien das Bild doch nicht unruhig, ja es beherrſchte den Rahmen, und machte ſeinen Reichthum zu einer anmuthigen Man¬ nigfaltigkeit, während es ſelber durch ſeine Gewalt ſich geltend machte, und in den erhebenden Farben von würdigem Schmucke umgeben thronte. Ein leiſer Ruf entſchlüpfte den Lippen aller Anweſenden, und ich freute mich, daß ich mich nicht getäuſcht hatte, als ich auf die Macht des Bildes rechnend einen ſo reichen Rahmen für dasſelbe beſtellt hatte. Wir ſtan¬ den lange davor, und betrachteten die Schönheit der Farbengebung an den entblößten Theilen ſo wie die der Gewandung und der Gründe, was im Vereine mit der Einfachheit und Hoheit der Linienführung und mit der maßvollen Anordnung der Flächen ein ſo würdevolles und heiliges Ganzes bildete, daß man ſich eines tiefen Ernſtes nicht erwehren konnte, der wie wahrhaftige Andacht war. Erſt ſpäter fingen wir zu ſprechen an, beredeten dieſes und jenes, und ka¬ men, wie es natürlich war, dahin, Vermuthungen über den Meiſter zu wagen. Es wurde Guido Reni genannt, es wurde Tizian genannt, es wurde die 11 *

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/177>, abgerufen am 22.11.2024.