bestehen, daß man alles verdammt, was nicht nach diesem Sinne ist. Sonst müßte man ja den größten und einzigen Künstler am meisten tadeln, Gott, der so unzählige Gestaltungen erschaffen hat, und dessen Werke ja wirklich von Menschen untergeordneten Gei¬ stes getadelt werden, die meinen, sie hätten es anders gemacht."
Bei diesen Worten kam Gustav in den Saal. Die Dämmerung hatte schon stark zugenommen, es reg¬ nete aber noch immer nicht.
"Dieser steht noch auf demselben Stande, auf welchem ihr früher gestanden seid," sagte mein Gast¬ freund auf Gustav weisend, der auf ihn zuging.
"Wie meinst du das, Vater?" fragte der Knabe.
"Wir redeten von Kunst," antwortete mein Gast¬ freund, "und da behaupte ich, daß du noch nicht in der Lage bist, Kunstwerke so erkennen und beurtheilen zu können wie unser Gast hier."
"Wohl, das behaupte ich selber," sagte Gustav, "er ist darum auch theilweise mein Lehrer, und wenn er in der Erkenntniß der Kunst dir und Eustach und der Mutter nachstrebt, so werde ich meines Theils ihm wieder nachstreben."
"Das ist gut," sagte mein Gastfreund, "aber das
beſtehen, daß man alles verdammt, was nicht nach dieſem Sinne iſt. Sonſt müßte man ja den größten und einzigen Künſtler am meiſten tadeln, Gott, der ſo unzählige Geſtaltungen erſchaffen hat, und deſſen Werke ja wirklich von Menſchen untergeordneten Gei¬ ſtes getadelt werden, die meinen, ſie hätten es anders gemacht.“
Bei dieſen Worten kam Guſtav in den Saal. Die Dämmerung hatte ſchon ſtark zugenommen, es reg¬ nete aber noch immer nicht.
„Dieſer ſteht noch auf demſelben Stande, auf welchem ihr früher geſtanden ſeid,“ ſagte mein Gaſt¬ freund auf Guſtav weiſend, der auf ihn zuging.
„Wie meinſt du das, Vater?“ fragte der Knabe.
„Wir redeten von Kunſt,“ antwortete mein Gaſt¬ freund, „und da behaupte ich, daß du noch nicht in der Lage biſt, Kunſtwerke ſo erkennen und beurtheilen zu können wie unſer Gaſt hier.“
„Wohl, das behaupte ich ſelber,“ ſagte Guſtav, „er iſt darum auch theilweiſe mein Lehrer, und wenn er in der Erkenntniß der Kunſt dir und Euſtach und der Mutter nachſtrebt, ſo werde ich meines Theils ihm wieder nachſtreben.“
„Das iſt gut,“ ſagte mein Gaſtfreund, „aber das
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beſtehen, daß man alles verdammt, was nicht nach
dieſem Sinne iſt. Sonſt müßte man ja den größten
und einzigen Künſtler am meiſten tadeln, Gott, der
ſo unzählige Geſtaltungen erſchaffen hat, und deſſen
Werke ja wirklich von Menſchen untergeordneten Gei¬
ſtes getadelt werden, die meinen, ſie hätten es anders
gemacht.“
Bei dieſen Worten kam Guſtav in den Saal. Die
Dämmerung hatte ſchon ſtark zugenommen, es reg¬
nete aber noch immer nicht.
„Dieſer ſteht noch auf demſelben Stande, auf
welchem ihr früher geſtanden ſeid,“ ſagte mein Gaſt¬
freund auf Guſtav weiſend, der auf ihn zuging.
„Wie meinſt du das, Vater?“ fragte der Knabe.
„Wir redeten von Kunſt,“ antwortete mein Gaſt¬
freund, „und da behaupte ich, daß du noch nicht in
der Lage biſt, Kunſtwerke ſo erkennen und beurtheilen
zu können wie unſer Gaſt hier.“
„Wohl, das behaupte ich ſelber,“ ſagte Guſtav,
„er iſt darum auch theilweiſe mein Lehrer, und wenn
er in der Erkenntniß der Kunſt dir und Euſtach und
der Mutter nachſtrebt, ſo werde ich meines Theils
ihm wieder nachſtreben.“
„Das iſt gut,“ ſagte mein Gaſtfreund, „aber das
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/150>, abgerufen am 22.11.2024.
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