daß das Gefäß nicht leer wird. Der in hohen Lüften auf seinen Schwingen ruhende Geier ist im Bilde erha¬ ben, der dicht vor unsern Augen auf seine Beute stür¬ zende kann sehr mißlich werden. Der an Bergen empor¬ steigende Nebel ist lieblich, der von einer abgefeuerten Kanone aufsteigende Rauch verlezt uns durch sein im¬ merwährendes Bleiben. Es ist begreiflich, daß die Grenzen zwischen dem Darstellbaren in der Bewegung nicht fest zu bestimmen sind, und daß größere Bega¬ bungen viel weiter hierin gehen dürfen als kleinere. So sah ich schon sehr oft gemalte fahrende Wägen. Die Pferde sind gewöhnlich ihrer Fußstellung nach im schönsten Laufe begriffen, während die Speichen der Wagenräder klar und sichtbar in völliger Ruhe starren. Der größere Künstler wird uns den Nebel der sausen¬ den Speichen darstellen, und manches Andere zu¬ thun und zusammenstellen, daß wir den Wagen wirk¬ lich fahren sehen. Außer dem hier gegebenen Begriffe von stofflicher Ruhe mag wohl unter Ruhe weit öfter die künstlerische zu verstehen sein, die ein Kunstwerk, sei es Bild Dichtung oder Musik nie entbehren kann, ohne aufzuhören, ein Kunstwerk zu sein. Es ist diese Ruhe jene allseitige Übereinstimmung aller Theile zu einem Ganzen, erzeugt durch jene Besonnenheit, die
daß das Gefäß nicht leer wird. Der in hohen Lüften auf ſeinen Schwingen ruhende Geier iſt im Bilde erha¬ ben, der dicht vor unſern Augen auf ſeine Beute ſtür¬ zende kann ſehr mißlich werden. Der an Bergen empor¬ ſteigende Nebel iſt lieblich, der von einer abgefeuerten Kanone aufſteigende Rauch verlezt uns durch ſein im¬ merwährendes Bleiben. Es iſt begreiflich, daß die Grenzen zwiſchen dem Darſtellbaren in der Bewegung nicht feſt zu beſtimmen ſind, und daß größere Bega¬ bungen viel weiter hierin gehen dürfen als kleinere. So ſah ich ſchon ſehr oft gemalte fahrende Wägen. Die Pferde ſind gewöhnlich ihrer Fußſtellung nach im ſchönſten Laufe begriffen, während die Speichen der Wagenräder klar und ſichtbar in völliger Ruhe ſtarren. Der größere Künſtler wird uns den Nebel der ſauſen¬ den Speichen darſtellen, und manches Andere zu¬ thun und zuſammenſtellen, daß wir den Wagen wirk¬ lich fahren ſehen. Außer dem hier gegebenen Begriffe von ſtofflicher Ruhe mag wohl unter Ruhe weit öfter die künſtleriſche zu verſtehen ſein, die ein Kunſtwerk, ſei es Bild Dichtung oder Muſik nie entbehren kann, ohne aufzuhören, ein Kunſtwerk zu ſein. Es iſt dieſe Ruhe jene allſeitige Übereinſtimmung aller Theile zu einem Ganzen, erzeugt durch jene Beſonnenheit, die
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daß das Gefäß nicht leer wird. Der in hohen Lüften
auf ſeinen Schwingen ruhende Geier iſt im Bilde erha¬
ben, der dicht vor unſern Augen auf ſeine Beute ſtür¬
zende kann ſehr mißlich werden. Der an Bergen empor¬
ſteigende Nebel iſt lieblich, der von einer abgefeuerten
Kanone aufſteigende Rauch verlezt uns durch ſein im¬
merwährendes Bleiben. Es iſt begreiflich, daß die
Grenzen zwiſchen dem Darſtellbaren in der Bewegung
nicht feſt zu beſtimmen ſind, und daß größere Bega¬
bungen viel weiter hierin gehen dürfen als kleinere.
So ſah ich ſchon ſehr oft gemalte fahrende Wägen.
Die Pferde ſind gewöhnlich ihrer Fußſtellung nach im
ſchönſten Laufe begriffen, während die Speichen der
Wagenräder klar und ſichtbar in völliger Ruhe ſtarren.
Der größere Künſtler wird uns den Nebel der ſauſen¬
den Speichen darſtellen, und manches Andere zu¬
thun und zuſammenſtellen, daß wir den Wagen wirk¬
lich fahren ſehen. Außer dem hier gegebenen Begriffe
von ſtofflicher Ruhe mag wohl unter Ruhe weit öfter
die künſtleriſche zu verſtehen ſein, die ein Kunſtwerk,
ſei es Bild Dichtung oder Muſik nie entbehren kann,
ohne aufzuhören, ein Kunſtwerk zu ſein. Es iſt dieſe
Ruhe jene allſeitige Übereinſtimmung aller Theile zu
einem Ganzen, erzeugt durch jene Beſonnenheit, die
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/148>, abgerufen am 22.11.2024.
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