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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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würde euch auf den Standpunkt führen, auf dem ich
euch jezt sehe."

Ich konnte eine geraume Zeit auf diese lezte Rede
meines Gastfreundes nichts antworten. Wir gingen
schweigend in dem Saale auf und nieder, und es war
um so stiller, als unsere mit weichen Sohlen bekleide¬
ten Füße nicht das geringste Geräusch auf dem glän¬
zenden Fußboden machten. Blize zuckten zuweilen in
den Spiegelflächen um und unter uns, der Donner
rollte gleichsam bei den offenen Fenstern herein, und
die Wolken bauten sich in Gebirgen oder in Trüm¬
mern oder in luftigen Länderstrecken durch den weiten
Raum auf, den die Fenster des Saales beherrschten.

Ich sagte endlich, daß ich mich jezt erinnere, wie
mein Vater oft geäußert habe, daß in schönen Kunst¬
werken Ruhe in Bewegung sein müsse.

"Es ist ein gewöhnlicher Kunstausdruck," entgeg¬
nete mein Gastfreund, "allein es thäte es auch ohne
ihn. Man versteht gewöhnlich unter Bewegung Be¬
wegbarkeit. Bewegung kann die bildende Kunst, von
der wir hier eigentlich reden, gar nicht darstellen.
Da die Kunst in der Regel lebende Wesen Menschen
Thiere Pflanzen -- und selbst die Landschaft troz der
starrenden Berge ist mit ihren beweglichen Wolken

Stifter, Nachsommer. II. 9

würde euch auf den Standpunkt führen, auf dem ich
euch jezt ſehe.“

Ich konnte eine geraume Zeit auf dieſe lezte Rede
meines Gaſtfreundes nichts antworten. Wir gingen
ſchweigend in dem Saale auf und nieder, und es war
um ſo ſtiller, als unſere mit weichen Sohlen bekleide¬
ten Füße nicht das geringſte Geräuſch auf dem glän¬
zenden Fußboden machten. Blize zuckten zuweilen in
den Spiegelflächen um und unter uns, der Donner
rollte gleichſam bei den offenen Fenſtern herein, und
die Wolken bauten ſich in Gebirgen oder in Trüm¬
mern oder in luftigen Länderſtrecken durch den weiten
Raum auf, den die Fenſter des Saales beherrſchten.

Ich ſagte endlich, daß ich mich jezt erinnere, wie
mein Vater oft geäußert habe, daß in ſchönen Kunſt¬
werken Ruhe in Bewegung ſein müſſe.

„Es iſt ein gewöhnlicher Kunſtausdruck,“ entgeg¬
nete mein Gaſtfreund, „allein es thäte es auch ohne
ihn. Man verſteht gewöhnlich unter Bewegung Be¬
wegbarkeit. Bewegung kann die bildende Kunſt, von
der wir hier eigentlich reden, gar nicht darſtellen.
Da die Kunſt in der Regel lebende Weſen Menſchen
Thiere Pflanzen — und ſelbſt die Landſchaft troz der
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Stifter, Nachſommer. II. 9
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[129/0143] würde euch auf den Standpunkt führen, auf dem ich euch jezt ſehe.“ Ich konnte eine geraume Zeit auf dieſe lezte Rede meines Gaſtfreundes nichts antworten. Wir gingen ſchweigend in dem Saale auf und nieder, und es war um ſo ſtiller, als unſere mit weichen Sohlen bekleide¬ ten Füße nicht das geringſte Geräuſch auf dem glän¬ zenden Fußboden machten. Blize zuckten zuweilen in den Spiegelflächen um und unter uns, der Donner rollte gleichſam bei den offenen Fenſtern herein, und die Wolken bauten ſich in Gebirgen oder in Trüm¬ mern oder in luftigen Länderſtrecken durch den weiten Raum auf, den die Fenſter des Saales beherrſchten. Ich ſagte endlich, daß ich mich jezt erinnere, wie mein Vater oft geäußert habe, daß in ſchönen Kunſt¬ werken Ruhe in Bewegung ſein müſſe. „Es iſt ein gewöhnlicher Kunſtausdruck,“ entgeg¬ nete mein Gaſtfreund, „allein es thäte es auch ohne ihn. Man verſteht gewöhnlich unter Bewegung Be¬ wegbarkeit. Bewegung kann die bildende Kunſt, von der wir hier eigentlich reden, gar nicht darſtellen. Da die Kunſt in der Regel lebende Weſen Menſchen Thiere Pflanzen — und ſelbſt die Landſchaft troz der ſtarrenden Berge iſt mit ihren beweglichen Wolken Stifter, Nachſommer. II. 9

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/143>, abgerufen am 25.11.2024.