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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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in einzelne Reize, die die neuen Werke bringen, hin¬
eingelebt hat, für den ist es sehr schwer, solche Werke
des Alterthums zu verstehen, sie erscheinen ihm mei¬
stens leer und langweilig. Ihr waret eigentlich auch
in diesem Falle. Wenn gleich nicht von der neuen
nur bestimmte Seiten gebenden Kunst gefangen, habt
ihr doch Abbildungen von gewissen Gegenständen,
besonders denen eurer wissenschaftlichen Bestrebungen
zu sehr und zu lange in einer Richtung gemacht, als
daß euer Auge sich nicht daran gewöhnt euer Gemüth
sich nicht dazu hingeneigt hätte, und ungefüger ge¬
worden wäre, etwas anderes mit gleicher Liebe auf¬
zunehmen, das in einer anderen Richtung lag, oder
vielmehr, das sich in keiner oder in allen Richtungen
befand. Ich habe gar nie gezweifelt, daß ihr zu die¬
ser Allgemeinheit gelangen werdet, weil schöne Kräfte
in euch sind, die noch auf keinen Afterweg geleitet
sind, und nach Erfüllung streben; aber ich habe nicht
gedacht, daß dies so bald geschehen werde, da ihr
noch zu kraftvoll in dem auf seiner Stufe höchst lo¬
benswerthen Streben nach dem Einzelnen begriffen
waret. Ich habe geglaubt, irgend ein großes allge¬
meines menschliches Gefühl, das euch ergreifen würde,

in einzelne Reize, die die neuen Werke bringen, hin¬
eingelebt hat, für den iſt es ſehr ſchwer, ſolche Werke
des Alterthums zu verſtehen, ſie erſcheinen ihm mei¬
ſtens leer und langweilig. Ihr waret eigentlich auch
in dieſem Falle. Wenn gleich nicht von der neuen
nur beſtimmte Seiten gebenden Kunſt gefangen, habt
ihr doch Abbildungen von gewiſſen Gegenſtänden,
beſonders denen eurer wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen
zu ſehr und zu lange in einer Richtung gemacht, als
daß euer Auge ſich nicht daran gewöhnt euer Gemüth
ſich nicht dazu hingeneigt hätte, und ungefüger ge¬
worden wäre, etwas anderes mit gleicher Liebe auf¬
zunehmen, das in einer anderen Richtung lag, oder
vielmehr, das ſich in keiner oder in allen Richtungen
befand. Ich habe gar nie gezweifelt, daß ihr zu die¬
ſer Allgemeinheit gelangen werdet, weil ſchöne Kräfte
in euch ſind, die noch auf keinen Afterweg geleitet
ſind, und nach Erfüllung ſtreben; aber ich habe nicht
gedacht, daß dies ſo bald geſchehen werde, da ihr
noch zu kraftvoll in dem auf ſeiner Stufe höchſt lo¬
benswerthen Streben nach dem Einzelnen begriffen
waret. Ich habe geglaubt, irgend ein großes allge¬
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[128/0142] in einzelne Reize, die die neuen Werke bringen, hin¬ eingelebt hat, für den iſt es ſehr ſchwer, ſolche Werke des Alterthums zu verſtehen, ſie erſcheinen ihm mei¬ ſtens leer und langweilig. Ihr waret eigentlich auch in dieſem Falle. Wenn gleich nicht von der neuen nur beſtimmte Seiten gebenden Kunſt gefangen, habt ihr doch Abbildungen von gewiſſen Gegenſtänden, beſonders denen eurer wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen zu ſehr und zu lange in einer Richtung gemacht, als daß euer Auge ſich nicht daran gewöhnt euer Gemüth ſich nicht dazu hingeneigt hätte, und ungefüger ge¬ worden wäre, etwas anderes mit gleicher Liebe auf¬ zunehmen, das in einer anderen Richtung lag, oder vielmehr, das ſich in keiner oder in allen Richtungen befand. Ich habe gar nie gezweifelt, daß ihr zu die¬ ſer Allgemeinheit gelangen werdet, weil ſchöne Kräfte in euch ſind, die noch auf keinen Afterweg geleitet ſind, und nach Erfüllung ſtreben; aber ich habe nicht gedacht, daß dies ſo bald geſchehen werde, da ihr noch zu kraftvoll in dem auf ſeiner Stufe höchſt lo¬ benswerthen Streben nach dem Einzelnen begriffen waret. Ich habe geglaubt, irgend ein großes allge¬ meines menſchliches Gefühl, das euch ergreifen würde,

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/142>, abgerufen am 24.11.2024.