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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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durch die über alles Maß hinausgehende Größe der
Gestalten, gegen welche ein Haus oder ein Drache klein
sei, ihre Übernatürlichkeit habe ausdrücken wollen.

Mein Gastfreund sagte, es müßten einmal nicht
nur viel kunstsinnigere Zeiten gewesen sein als heute,
sondern es müßte die Kunst auch ein allgemeineres
Verständniß bis in das unterste Volk hinab gefunden
haben; denn wie wären sonst Kunstwerke in so abge¬
legene Orte wie Kerberg gekommen, oder wie befän¬
den sich solche in noch kleineren Kirchen und Kapellen
des Hochlandes, die oft einsam auf einem Hügel
stehen, oder mit ihren Mauern aus einem Waldberge
hervor ragen, oder wie wären kleine Kirchlein Feld¬
kapellen Wegsäulen Denksteine alter Zeit mit solcher
Kunst gearbeitet: so wie heut zu Tage der Kunstver¬
fall bis in die höheren Stände hinauf rage, weil
man nicht nur in die Kirchen Gräber und heiligen
Orte abscheuliche Gestalten, die eher die Andacht zer¬
stören als befördern, von dem Volke stellen läßt,
sondern auch bis zu sich hinauf in das herrschaftliche
Schloß so oft die leeren und geistesarmen Arbeiten
einer ohnmächtigen Zeit zieht. Meines Gastfreun¬
des und Eustachs bemächtigte sich bei diesen Be¬

durch die über alles Maß hinausgehende Größe der
Geſtalten, gegen welche ein Haus oder ein Drache klein
ſei, ihre Übernatürlichkeit habe ausdrücken wollen.

Mein Gaſtfreund ſagte, es müßten einmal nicht
nur viel kunſtſinnigere Zeiten geweſen ſein als heute,
ſondern es müßte die Kunſt auch ein allgemeineres
Verſtändniß bis in das unterſte Volk hinab gefunden
haben; denn wie wären ſonſt Kunſtwerke in ſo abge¬
legene Orte wie Kerberg gekommen, oder wie befän¬
den ſich ſolche in noch kleineren Kirchen und Kapellen
des Hochlandes, die oft einſam auf einem Hügel
ſtehen, oder mit ihren Mauern aus einem Waldberge
hervor ragen, oder wie wären kleine Kirchlein Feld¬
kapellen Wegſäulen Denkſteine alter Zeit mit ſolcher
Kunſt gearbeitet: ſo wie heut zu Tage der Kunſtver¬
fall bis in die höheren Stände hinauf rage, weil
man nicht nur in die Kirchen Gräber und heiligen
Orte abſcheuliche Geſtalten, die eher die Andacht zer¬
ſtören als befördern, von dem Volke ſtellen läßt,
ſondern auch bis zu ſich hinauf in das herrſchaftliche
Schloß ſo oft die leeren und geiſtesarmen Arbeiten
einer ohnmächtigen Zeit zieht. Meines Gaſtfreun¬
des und Euſtachs bemächtigte ſich bei dieſen Be¬

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[446/0460] durch die über alles Maß hinausgehende Größe der Geſtalten, gegen welche ein Haus oder ein Drache klein ſei, ihre Übernatürlichkeit habe ausdrücken wollen. Mein Gaſtfreund ſagte, es müßten einmal nicht nur viel kunſtſinnigere Zeiten geweſen ſein als heute, ſondern es müßte die Kunſt auch ein allgemeineres Verſtändniß bis in das unterſte Volk hinab gefunden haben; denn wie wären ſonſt Kunſtwerke in ſo abge¬ legene Orte wie Kerberg gekommen, oder wie befän¬ den ſich ſolche in noch kleineren Kirchen und Kapellen des Hochlandes, die oft einſam auf einem Hügel ſtehen, oder mit ihren Mauern aus einem Waldberge hervor ragen, oder wie wären kleine Kirchlein Feld¬ kapellen Wegſäulen Denkſteine alter Zeit mit ſolcher Kunſt gearbeitet: ſo wie heut zu Tage der Kunſtver¬ fall bis in die höheren Stände hinauf rage, weil man nicht nur in die Kirchen Gräber und heiligen Orte abſcheuliche Geſtalten, die eher die Andacht zer¬ ſtören als befördern, von dem Volke ſtellen läßt, ſondern auch bis zu ſich hinauf in das herrſchaftliche Schloß ſo oft die leeren und geiſtesarmen Arbeiten einer ohnmächtigen Zeit zieht. Meines Gaſtfreun¬ des und Euſtachs bemächtigte ſich bei dieſen Be¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/460>, abgerufen am 22.11.2024.