Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

kommen, und so war der geschnizte Hochaltar von
Vögeln Fliegen und Ungeziefer beschmuzt worden, die
Sonne, die ungehindert durch die viereckigen Tafeln
hereinschien, hatte ihn ausgedörrt, Theile fielen
herab, und wurden willkührlich wieder hinauf gethan
und durcheinander gestellt und in Arme Angesichter
und Gewänder bohrte sich der Wurm.

Darum haben die Behörden des Landes den Al¬
tar wieder hergestellt, und zu diesem gingen wir.

Eustach geleitete uns in die Kirche, es war ein
sonniger Vormittag, kein Mensch war zugegen, und
wir traten vor das Schnizwerk. Eustach konnte vieles
aus den Regeln der alten Kunst und aus der Ge¬
schichte derselben erklären. Er sprach über das Mit¬
telfeld, in welchem drei ganze überlebensgroße Ge¬
stalten auf reich verzierten Gestellen unter reichen
Überdächern standen. Es waren die Gestalten des
heiligen Petrus des heiligen Wolfgang -- beide in
Bischofsgewändern -- und des heiligen Christopho¬
rus, wie er das Jesuskindlein auf der Schulter trägt,
und wie dasselbe nach der Legende dem riesenhaft
starken Manne schwer wie ein Weltball wird, und seine
Kräfte erschöpft, welche Erschöpfung in der Gestalt
ausgedrückt ist. Sehr viele kleine Gestalten waren

kommen, und ſo war der geſchnizte Hochaltar von
Vögeln Fliegen und Ungeziefer beſchmuzt worden, die
Sonne, die ungehindert durch die viereckigen Tafeln
hereinſchien, hatte ihn ausgedörrt, Theile fielen
herab, und wurden willkührlich wieder hinauf gethan
und durcheinander geſtellt und in Arme Angeſichter
und Gewänder bohrte ſich der Wurm.

Darum haben die Behörden des Landes den Al¬
tar wieder hergeſtellt, und zu dieſem gingen wir.

Euſtach geleitete uns in die Kirche, es war ein
ſonniger Vormittag, kein Menſch war zugegen, und
wir traten vor das Schnizwerk. Euſtach konnte vieles
aus den Regeln der alten Kunſt und aus der Ge¬
ſchichte derſelben erklären. Er ſprach über das Mit¬
telfeld, in welchem drei ganze überlebensgroße Ge¬
ſtalten auf reich verzierten Geſtellen unter reichen
Überdächern ſtanden. Es waren die Geſtalten des
heiligen Petrus des heiligen Wolfgang — beide in
Biſchofsgewändern — und des heiligen Chriſtopho¬
rus, wie er das Jeſuskindlein auf der Schulter trägt,
und wie dasſelbe nach der Legende dem rieſenhaft
ſtarken Manne ſchwer wie ein Weltball wird, und ſeine
Kräfte erſchöpft, welche Erſchöpfung in der Geſtalt
ausgedrückt iſt. Sehr viele kleine Geſtalten waren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0458" n="444"/>
kommen, und &#x017F;o war der ge&#x017F;chnizte Hochaltar von<lb/>
Vögeln Fliegen und Ungeziefer be&#x017F;chmuzt worden, die<lb/>
Sonne, die ungehindert durch die viereckigen Tafeln<lb/>
herein&#x017F;chien, hatte ihn ausgedörrt, Theile fielen<lb/>
herab, und wurden willkührlich wieder hinauf gethan<lb/>
und durcheinander ge&#x017F;tellt und in Arme Ange&#x017F;ichter<lb/>
und Gewänder bohrte &#x017F;ich der Wurm.</p><lb/>
        <p>Darum haben die Behörden des Landes den Al¬<lb/>
tar wieder herge&#x017F;tellt, und zu die&#x017F;em gingen wir.</p><lb/>
        <p>Eu&#x017F;tach geleitete uns in die Kirche, es war ein<lb/>
&#x017F;onniger Vormittag, kein Men&#x017F;ch war zugegen, und<lb/>
wir traten vor das Schnizwerk. Eu&#x017F;tach konnte vieles<lb/>
aus den Regeln der alten Kun&#x017F;t und aus der Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte der&#x017F;elben erklären. Er &#x017F;prach über das Mit¬<lb/>
telfeld, in welchem drei ganze überlebensgroße Ge¬<lb/>
&#x017F;talten auf reich verzierten Ge&#x017F;tellen unter reichen<lb/>
Überdächern &#x017F;tanden. Es waren die Ge&#x017F;talten des<lb/>
heiligen Petrus des heiligen Wolfgang &#x2014; beide in<lb/>
Bi&#x017F;chofsgewändern &#x2014; und des heiligen Chri&#x017F;topho¬<lb/>
rus, wie er das Je&#x017F;uskindlein auf der Schulter trägt,<lb/>
und wie das&#x017F;elbe nach der Legende dem rie&#x017F;enhaft<lb/>
&#x017F;tarken Manne &#x017F;chwer wie ein Weltball wird, und &#x017F;eine<lb/>
Kräfte er&#x017F;chöpft, welche Er&#x017F;chöpfung in der Ge&#x017F;talt<lb/>
ausgedrückt i&#x017F;t. Sehr viele kleine Ge&#x017F;talten waren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[444/0458] kommen, und ſo war der geſchnizte Hochaltar von Vögeln Fliegen und Ungeziefer beſchmuzt worden, die Sonne, die ungehindert durch die viereckigen Tafeln hereinſchien, hatte ihn ausgedörrt, Theile fielen herab, und wurden willkührlich wieder hinauf gethan und durcheinander geſtellt und in Arme Angeſichter und Gewänder bohrte ſich der Wurm. Darum haben die Behörden des Landes den Al¬ tar wieder hergeſtellt, und zu dieſem gingen wir. Euſtach geleitete uns in die Kirche, es war ein ſonniger Vormittag, kein Menſch war zugegen, und wir traten vor das Schnizwerk. Euſtach konnte vieles aus den Regeln der alten Kunſt und aus der Ge¬ ſchichte derſelben erklären. Er ſprach über das Mit¬ telfeld, in welchem drei ganze überlebensgroße Ge¬ ſtalten auf reich verzierten Geſtellen unter reichen Überdächern ſtanden. Es waren die Geſtalten des heiligen Petrus des heiligen Wolfgang — beide in Biſchofsgewändern — und des heiligen Chriſtopho¬ rus, wie er das Jeſuskindlein auf der Schulter trägt, und wie dasſelbe nach der Legende dem rieſenhaft ſtarken Manne ſchwer wie ein Weltball wird, und ſeine Kräfte erſchöpft, welche Erſchöpfung in der Geſtalt ausgedrückt iſt. Sehr viele kleine Geſtalten waren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/458
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/458>, abgerufen am 25.11.2024.