Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Wieder in einem Thalkessel, in welchem wir keine Ge¬
genstände neben unserem Wagen hatten als eine
dunkle weitästige Fichte und eine Mühle. Oft, wenn
wir uns einem Gegenstande gleichsam auf einer Ebene
nähern zu können schienen, war plözlich eine tiefe
Schlucht in die Ebene geschnitten, und wir mußten
dieselbe in Schlangenwindungen umfahren.

Ich hatte bei meinem ersten Besuche dieses Hoch¬
landes die Bemerkung gemacht, daß es mir da stil¬
ler und schweigsamer vorkomme, als wenn ich durch
andere ebenfalls stille und schweigende Landschaften
zog. Ich dachte nicht weiter darüber nach. Jezt kam
mir dieselbe Empfindung wieder. In diesem Lande
liegen die wenigen größeren Ortschaften sehr weit von
einander entfernt, die Gehöfte der Bauern stehen ein¬
zeln auf Hügeln oder in einer tiefen Schlucht oder
an einem nicht geahnten Abhange. Herum sind Wie¬
sen Felder Wäldchen und Gestein. Die Bäche gehen
still in den Schluchten, und wo sie rauschen, hört
man ihr Rauschen nicht, weil die Wege sehr oft auf
den Höhen dahin führen. Einen großen Fluß hat
das Land nicht, und wenn man die ausgedehnte süd¬
liche Ebene und das Hochgebirge sieht, so ist es nur
ein sehr großer aber stiller Gesichtseindruck. In den

Wieder in einem Thalkeſſel, in welchem wir keine Ge¬
genſtände neben unſerem Wagen hatten als eine
dunkle weitäſtige Fichte und eine Mühle. Oft, wenn
wir uns einem Gegenſtande gleichſam auf einer Ebene
nähern zu können ſchienen, war plözlich eine tiefe
Schlucht in die Ebene geſchnitten, und wir mußten
dieſelbe in Schlangenwindungen umfahren.

Ich hatte bei meinem erſten Beſuche dieſes Hoch¬
landes die Bemerkung gemacht, daß es mir da ſtil¬
ler und ſchweigſamer vorkomme, als wenn ich durch
andere ebenfalls ſtille und ſchweigende Landſchaften
zog. Ich dachte nicht weiter darüber nach. Jezt kam
mir dieſelbe Empfindung wieder. In dieſem Lande
liegen die wenigen größeren Ortſchaften ſehr weit von
einander entfernt, die Gehöfte der Bauern ſtehen ein¬
zeln auf Hügeln oder in einer tiefen Schlucht oder
an einem nicht geahnten Abhange. Herum ſind Wie¬
ſen Felder Wäldchen und Geſtein. Die Bäche gehen
ſtill in den Schluchten, und wo ſie rauſchen, hört
man ihr Rauſchen nicht, weil die Wege ſehr oft auf
den Höhen dahin führen. Einen großen Fluß hat
das Land nicht, und wenn man die ausgedehnte ſüd¬
liche Ebene und das Hochgebirge ſieht, ſo iſt es nur
ein ſehr großer aber ſtiller Geſichtseindruck. In den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0455" n="441"/>
Wieder in einem Thalke&#x017F;&#x017F;el, in welchem wir keine Ge¬<lb/>
gen&#x017F;tände neben un&#x017F;erem Wagen hatten als eine<lb/>
dunkle weitä&#x017F;tige Fichte und eine Mühle. Oft, wenn<lb/>
wir uns einem Gegen&#x017F;tande gleich&#x017F;am auf einer Ebene<lb/>
nähern zu können &#x017F;chienen, war plözlich eine tiefe<lb/>
Schlucht in die Ebene ge&#x017F;chnitten, und wir mußten<lb/>
die&#x017F;elbe in Schlangenwindungen umfahren.</p><lb/>
        <p>Ich hatte bei meinem er&#x017F;ten Be&#x017F;uche die&#x017F;es Hoch¬<lb/>
landes die Bemerkung gemacht, daß es mir da &#x017F;til¬<lb/>
ler und &#x017F;chweig&#x017F;amer vorkomme, als wenn ich durch<lb/>
andere ebenfalls &#x017F;tille und &#x017F;chweigende Land&#x017F;chaften<lb/>
zog. Ich dachte nicht weiter darüber nach. Jezt kam<lb/>
mir die&#x017F;elbe Empfindung wieder. In die&#x017F;em Lande<lb/>
liegen die wenigen größeren Ort&#x017F;chaften &#x017F;ehr weit von<lb/>
einander entfernt, die Gehöfte der Bauern &#x017F;tehen ein¬<lb/>
zeln auf Hügeln oder in einer tiefen Schlucht oder<lb/>
an einem nicht geahnten Abhange. Herum &#x017F;ind Wie¬<lb/>
&#x017F;en Felder Wäldchen und Ge&#x017F;tein. Die Bäche gehen<lb/>
&#x017F;till in den Schluchten, und wo &#x017F;ie rau&#x017F;chen, hört<lb/>
man ihr Rau&#x017F;chen nicht, weil die Wege &#x017F;ehr oft auf<lb/>
den Höhen dahin führen. Einen großen Fluß hat<lb/>
das Land nicht, und wenn man die ausgedehnte &#x017F;üd¬<lb/>
liche Ebene und das Hochgebirge &#x017F;ieht, &#x017F;o i&#x017F;t es nur<lb/>
ein &#x017F;ehr großer aber &#x017F;tiller Ge&#x017F;ichtseindruck. In den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[441/0455] Wieder in einem Thalkeſſel, in welchem wir keine Ge¬ genſtände neben unſerem Wagen hatten als eine dunkle weitäſtige Fichte und eine Mühle. Oft, wenn wir uns einem Gegenſtande gleichſam auf einer Ebene nähern zu können ſchienen, war plözlich eine tiefe Schlucht in die Ebene geſchnitten, und wir mußten dieſelbe in Schlangenwindungen umfahren. Ich hatte bei meinem erſten Beſuche dieſes Hoch¬ landes die Bemerkung gemacht, daß es mir da ſtil¬ ler und ſchweigſamer vorkomme, als wenn ich durch andere ebenfalls ſtille und ſchweigende Landſchaften zog. Ich dachte nicht weiter darüber nach. Jezt kam mir dieſelbe Empfindung wieder. In dieſem Lande liegen die wenigen größeren Ortſchaften ſehr weit von einander entfernt, die Gehöfte der Bauern ſtehen ein¬ zeln auf Hügeln oder in einer tiefen Schlucht oder an einem nicht geahnten Abhange. Herum ſind Wie¬ ſen Felder Wäldchen und Geſtein. Die Bäche gehen ſtill in den Schluchten, und wo ſie rauſchen, hört man ihr Rauſchen nicht, weil die Wege ſehr oft auf den Höhen dahin führen. Einen großen Fluß hat das Land nicht, und wenn man die ausgedehnte ſüd¬ liche Ebene und das Hochgebirge ſieht, ſo iſt es nur ein ſehr großer aber ſtiller Geſichtseindruck. In den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/455
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 441. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/455>, abgerufen am 22.11.2024.