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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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die Stirne machte, und ihn auf dieselbe küßte. Der
Knabe hielt ihre Hand fest umschlungen, und küßte
sie. Ich sah in seinen großen schwarzen Augen, die
in Thränen schwammen, daß er sich gerne an ihren
Hals würfe; aber die Scham, die einen Bestandtheil
seines Wesens machte, mochte ihn zurück halten.

"Bleibe lieb, Natalie," sagte mein Gastfreund.

Das Mädchen hätte bald die dargereichte Hand
geküßt, wenn er es zugelassen hätte.

"Theurer Gustav, habe noch einmal Dank," sagte
Mathilde zu meinem Gastfreunde. Sie hatte noch
mehr sagen wollen; aber es brachen Thränen aus
ihren Augen. Sie nahm ein weißes feines Tuch und
drückte es fest gegen diese Augen, aus denen sie heftig
weinte.

Mein Gastfreund stand da, und hielt die Augen
ruhig; aber es fielen Thränen aus denselben herab.

"Reise recht glücklich, Mathilde," sagte er endlich,
"und wenn bei deinem Aufenthalte bei uns etwas ge¬
fehlt hat, so rechne es nicht unserer Schuld an."

Sie that das Tuch von den Augen, die noch
fortweinten, deutete auf Gustav, und sagte: "Meine
größte Schuld steht da, eine Schuld, welche ich wohl
nie werde tilgen können."

die Stirne machte, und ihn auf dieſelbe küßte. Der
Knabe hielt ihre Hand feſt umſchlungen, und küßte
ſie. Ich ſah in ſeinen großen ſchwarzen Augen, die
in Thränen ſchwammen, daß er ſich gerne an ihren
Hals würfe; aber die Scham, die einen Beſtandtheil
ſeines Weſens machte, mochte ihn zurück halten.

„Bleibe lieb, Natalie,“ ſagte mein Gaſtfreund.

Das Mädchen hätte bald die dargereichte Hand
geküßt, wenn er es zugelaſſen hätte.

„Theurer Guſtav, habe noch einmal Dank,“ ſagte
Mathilde zu meinem Gaſtfreunde. Sie hatte noch
mehr ſagen wollen; aber es brachen Thränen aus
ihren Augen. Sie nahm ein weißes feines Tuch und
drückte es feſt gegen dieſe Augen, aus denen ſie heftig
weinte.

Mein Gaſtfreund ſtand da, und hielt die Augen
ruhig; aber es fielen Thränen aus denſelben herab.

„Reiſe recht glücklich, Mathilde,“ ſagte er endlich,
„und wenn bei deinem Aufenthalte bei uns etwas ge¬
fehlt hat, ſo rechne es nicht unſerer Schuld an.“

Sie that das Tuch von den Augen, die noch
fortweinten, deutete auf Guſtav, und ſagte: „Meine
größte Schuld ſteht da, eine Schuld, welche ich wohl
nie werde tilgen können.“

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[432/0446] die Stirne machte, und ihn auf dieſelbe küßte. Der Knabe hielt ihre Hand feſt umſchlungen, und küßte ſie. Ich ſah in ſeinen großen ſchwarzen Augen, die in Thränen ſchwammen, daß er ſich gerne an ihren Hals würfe; aber die Scham, die einen Beſtandtheil ſeines Weſens machte, mochte ihn zurück halten. „Bleibe lieb, Natalie,“ ſagte mein Gaſtfreund. Das Mädchen hätte bald die dargereichte Hand geküßt, wenn er es zugelaſſen hätte. „Theurer Guſtav, habe noch einmal Dank,“ ſagte Mathilde zu meinem Gaſtfreunde. Sie hatte noch mehr ſagen wollen; aber es brachen Thränen aus ihren Augen. Sie nahm ein weißes feines Tuch und drückte es feſt gegen dieſe Augen, aus denen ſie heftig weinte. Mein Gaſtfreund ſtand da, und hielt die Augen ruhig; aber es fielen Thränen aus denſelben herab. „Reiſe recht glücklich, Mathilde,“ ſagte er endlich, „und wenn bei deinem Aufenthalte bei uns etwas ge¬ fehlt hat, ſo rechne es nicht unſerer Schuld an.“ Sie that das Tuch von den Augen, die noch fortweinten, deutete auf Guſtav, und ſagte: „Meine größte Schuld ſteht da, eine Schuld, welche ich wohl nie werde tilgen können.“

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/446>, abgerufen am 22.07.2024.