auch ihre Lernstunden, welche sie gewissenhaft hielt. Gustav sagte mir, daß sie jezt Spanisch lerne, und spanische Bücher mit hieher gebracht habe. Ich hatte doch den Raum, welchen man mir in dem sogenann¬ ten Steinhause eingeräumt hatte, benüzt, und hatte mehrere meiner Gegenstände dort hingebracht. Gu¬ stav las bereits in den Büchern von Göthe. Sein Ziehvater hatte ihm Hermann und Dorothea ausge¬ wählt, und ihm gesagt, er solle das Werk so genau und sorgfältig lesen, daß er jeden Vers völlig ver¬ stehe, und wo ihm etwas dunkel sei, dort solle er fra¬ gen. Mir war es rührend, daß die Bücher alle in Gustavs Zimmer aufgestellt waren, und daß man das Zutrauen hatte, daß er kein anderes lesen werde, als welches ihm von dem Ziehvater bezeichnet worden sei. Ich kam oft zu ihm, und wenn ich nach der Kenntniß, die ich bereits von seinem Wesen gewon¬ nen hatte, nicht gewußt hätte, daß er sein Versprechen halten werde, so hätte ich mich durch meine Besuche von dieser Thatsache überzeugt. Mathilde und Na- talie standen oft dabei, wenn mein Gastfreund für seine gefiederten Gäste auf der Fütterungstenne Kör¬ ner streute, und nicht selten, wenn ich des Morgens von einem Gange durch den Garten zurückkam, sah
auch ihre Lernſtunden, welche ſie gewiſſenhaft hielt. Guſtav ſagte mir, daß ſie jezt Spaniſch lerne, und ſpaniſche Bücher mit hieher gebracht habe. Ich hatte doch den Raum, welchen man mir in dem ſogenann¬ ten Steinhauſe eingeräumt hatte, benüzt, und hatte mehrere meiner Gegenſtände dort hingebracht. Gu¬ ſtav las bereits in den Büchern von Göthe. Sein Ziehvater hatte ihm Hermann und Dorothea ausge¬ wählt, und ihm geſagt, er ſolle das Werk ſo genau und ſorgfältig leſen, daß er jeden Vers völlig ver¬ ſtehe, und wo ihm etwas dunkel ſei, dort ſolle er fra¬ gen. Mir war es rührend, daß die Bücher alle in Guſtavs Zimmer aufgeſtellt waren, und daß man das Zutrauen hatte, daß er kein anderes leſen werde, als welches ihm von dem Ziehvater bezeichnet worden ſei. Ich kam oft zu ihm, und wenn ich nach der Kenntniß, die ich bereits von ſeinem Weſen gewon¬ nen hatte, nicht gewußt hätte, daß er ſein Verſprechen halten werde, ſo hätte ich mich durch meine Beſuche von dieſer Thatſache überzeugt. Mathilde und Na- talie ſtanden oft dabei, wenn mein Gaſtfreund für ſeine gefiederten Gäſte auf der Fütterungstenne Kör¬ ner ſtreute, und nicht ſelten, wenn ich des Morgens von einem Gange durch den Garten zurückkam, ſah
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auch ihre Lernſtunden, welche ſie gewiſſenhaft hielt.
Guſtav ſagte mir, daß ſie jezt Spaniſch lerne, und
ſpaniſche Bücher mit hieher gebracht habe. Ich hatte
doch den Raum, welchen man mir in dem ſogenann¬
ten Steinhauſe eingeräumt hatte, benüzt, und hatte
mehrere meiner Gegenſtände dort hingebracht. Gu¬
ſtav las bereits in den Büchern von Göthe. Sein
Ziehvater hatte ihm Hermann und Dorothea ausge¬
wählt, und ihm geſagt, er ſolle das Werk ſo genau
und ſorgfältig leſen, daß er jeden Vers völlig ver¬
ſtehe, und wo ihm etwas dunkel ſei, dort ſolle er fra¬
gen. Mir war es rührend, daß die Bücher alle in
Guſtavs Zimmer aufgeſtellt waren, und daß man
das Zutrauen hatte, daß er kein anderes leſen werde,
als welches ihm von dem Ziehvater bezeichnet worden
ſei. Ich kam oft zu ihm, und wenn ich nach der
Kenntniß, die ich bereits von ſeinem Weſen gewon¬
nen hatte, nicht gewußt hätte, daß er ſein Verſprechen
halten werde, ſo hätte ich mich durch meine Beſuche
von dieſer Thatſache überzeugt. Mathilde und Na-
talie ſtanden oft dabei, wenn mein Gaſtfreund für
ſeine gefiederten Gäſte auf der Fütterungstenne Kör¬
ner ſtreute, und nicht ſelten, wenn ich des Morgens
von einem Gange durch den Garten zurückkam, ſah
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/425>, abgerufen am 22.11.2024.
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