Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Vater von der Mutter und von der Schwester. Ich
erzählte ihm von allen unsern häuslichen Verhältnis¬
sen, und beschrieb ihm mehrfach, so genau ich es
konnte, die Dinge, die mein Vater in seinen Zimmern
hatte, und auf welche er einen Werth legte. Meinen
Namen nannte ich hiebei nicht, und er fragte auch
nicht darnach.

Ebenso wußte ich, obwohl ich nun länger in sei¬
nem Hause gewesen war, noch immer seinen Namen
nicht. Zufällig ist er nicht genannt worden, und da
er ihn nicht selber sagte, so wollte ich aus Grundsaz
niemanden darum fragen. Von Gustav oder Eustach
wäre er am leichtesten zu erfahren gewesen; aber diese
zwei mochte ich am wenigsten fragen, am allerwenig¬
sten Gustav, wenn er unzählige Male unbefangen
den Namen Ziehvater aussprach. Der Mann war
sehr gut sehr lieb und sehr freundlich gegen mich, er
nannte seinen Namen nicht, ich konnte auch nicht mit
Gewißheit voraussezen, daß er meine, ich kenne den¬
selben; daher beschloß ich, gar nicht, selbst nicht in
der größten Entfernung von diesem Orte, um den
Namen des Besizers des Rosenhauses zu fragen.

Nach und nach änderte sich die Zeit immer mehr
und immer gewaltiger. Die Tage waren viel länger

Stifter, Nachsommer. I. 23

Vater von der Mutter und von der Schweſter. Ich
erzählte ihm von allen unſern häuslichen Verhältniſ¬
ſen, und beſchrieb ihm mehrfach, ſo genau ich es
konnte, die Dinge, die mein Vater in ſeinen Zimmern
hatte, und auf welche er einen Werth legte. Meinen
Namen nannte ich hiebei nicht, und er fragte auch
nicht darnach.

Ebenſo wußte ich, obwohl ich nun länger in ſei¬
nem Hauſe geweſen war, noch immer ſeinen Namen
nicht. Zufällig iſt er nicht genannt worden, und da
er ihn nicht ſelber ſagte, ſo wollte ich aus Grundſaz
niemanden darum fragen. Von Guſtav oder Euſtach
wäre er am leichteſten zu erfahren geweſen; aber dieſe
zwei mochte ich am wenigſten fragen, am allerwenig¬
ſten Guſtav, wenn er unzählige Male unbefangen
den Namen Ziehvater ausſprach. Der Mann war
ſehr gut ſehr lieb und ſehr freundlich gegen mich, er
nannte ſeinen Namen nicht, ich konnte auch nicht mit
Gewißheit vorausſezen, daß er meine, ich kenne den¬
ſelben; daher beſchloß ich, gar nicht, ſelbſt nicht in
der größten Entfernung von dieſem Orte, um den
Namen des Beſizers des Roſenhauſes zu fragen.

Nach und nach änderte ſich die Zeit immer mehr
und immer gewaltiger. Die Tage waren viel länger

Stifter, Nachſommer. I. 23
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0367" n="353"/>
Vater von der Mutter und von der Schwe&#x017F;ter. Ich<lb/>
erzählte ihm von allen un&#x017F;ern häuslichen Verhältni&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en, und be&#x017F;chrieb ihm mehrfach, &#x017F;o genau ich es<lb/>
konnte, die Dinge, die mein Vater in &#x017F;einen Zimmern<lb/>
hatte, und auf welche er einen Werth legte. Meinen<lb/>
Namen nannte ich hiebei nicht, und er fragte auch<lb/>
nicht darnach.</p><lb/>
        <p>Eben&#x017F;o wußte ich, obwohl ich nun länger in &#x017F;ei¬<lb/>
nem Hau&#x017F;e gewe&#x017F;en war, noch immer &#x017F;einen Namen<lb/>
nicht. Zufällig i&#x017F;t er nicht genannt worden, und da<lb/>
er ihn nicht &#x017F;elber &#x017F;agte, &#x017F;o wollte ich aus Grund&#x017F;az<lb/>
niemanden darum fragen. Von Gu&#x017F;tav oder Eu&#x017F;tach<lb/>
wäre er am leichte&#x017F;ten zu erfahren gewe&#x017F;en; aber die&#x017F;e<lb/>
zwei mochte ich am wenig&#x017F;ten fragen, am allerwenig¬<lb/>
&#x017F;ten Gu&#x017F;tav, wenn er unzählige Male unbefangen<lb/>
den Namen Ziehvater aus&#x017F;prach. Der Mann war<lb/>
&#x017F;ehr gut &#x017F;ehr lieb und &#x017F;ehr freundlich gegen mich, er<lb/>
nannte &#x017F;einen Namen nicht, ich konnte auch nicht mit<lb/>
Gewißheit voraus&#x017F;ezen, daß er meine, ich kenne den¬<lb/>
&#x017F;elben; daher be&#x017F;chloß ich, gar nicht, &#x017F;elb&#x017F;t nicht in<lb/>
der größten Entfernung von die&#x017F;em Orte, um den<lb/>
Namen des Be&#x017F;izers des Ro&#x017F;enhau&#x017F;es zu fragen.</p><lb/>
        <p>Nach und nach änderte &#x017F;ich die Zeit immer mehr<lb/>
und immer gewaltiger. Die Tage waren viel länger<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stifter</hi>, Nach&#x017F;ommer. <hi rendition="#aq">I</hi>. 23<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[353/0367] Vater von der Mutter und von der Schweſter. Ich erzählte ihm von allen unſern häuslichen Verhältniſ¬ ſen, und beſchrieb ihm mehrfach, ſo genau ich es konnte, die Dinge, die mein Vater in ſeinen Zimmern hatte, und auf welche er einen Werth legte. Meinen Namen nannte ich hiebei nicht, und er fragte auch nicht darnach. Ebenſo wußte ich, obwohl ich nun länger in ſei¬ nem Hauſe geweſen war, noch immer ſeinen Namen nicht. Zufällig iſt er nicht genannt worden, und da er ihn nicht ſelber ſagte, ſo wollte ich aus Grundſaz niemanden darum fragen. Von Guſtav oder Euſtach wäre er am leichteſten zu erfahren geweſen; aber dieſe zwei mochte ich am wenigſten fragen, am allerwenig¬ ſten Guſtav, wenn er unzählige Male unbefangen den Namen Ziehvater ausſprach. Der Mann war ſehr gut ſehr lieb und ſehr freundlich gegen mich, er nannte ſeinen Namen nicht, ich konnte auch nicht mit Gewißheit vorausſezen, daß er meine, ich kenne den¬ ſelben; daher beſchloß ich, gar nicht, ſelbſt nicht in der größten Entfernung von dieſem Orte, um den Namen des Beſizers des Roſenhauſes zu fragen. Nach und nach änderte ſich die Zeit immer mehr und immer gewaltiger. Die Tage waren viel länger Stifter, Nachſommer. I. 23

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/367
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/367>, abgerufen am 25.11.2024.