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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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sonderbar war es anzusehen, wie er die Pflanzenzeich¬
nungen nicht als Pflanzenfreund und Kenner an¬
blickte, sondern als Baumeister, der ihre Gestalt ver¬
wenden kann. Er versuchte später selber auch Zeich¬
nungen nach lebenden Pflanzen; aber hier trat der
Unterschied von einem Pflanzenfreunde noch mehr
hervor: die Bilder wurden ihm allgemach durch un¬
merkliche Zusäze aus Gewächsen schöne Verzierungen.
Er suchte sich auch in der Regel solche Vorbilder aus,
die zu seinem Berufe in näherer Beziehung standen,
oder in eine solche gebracht werden konnten. In Be¬
zug auf die anderen Dinge, die in dem Schreiner¬
hause gearbeitet wurden, zeigte er mir alles, und er¬
klärte mir manches, wenn ich nach Erklärung ver¬
langte. Auch hierin glaubte ich seit dem vorigen
Sommer Fortschritte gemacht zu haben, namentlich,
da ich die Gegenstände, die mein Vater besaß, wohl
genau betrachtet und mir eingeprägt hatte, um ihre
Bilder hieher übertragen und mit dem, was sich hier
befand, vergleichen zu können. Die Gestalten gingen
jezt leichter in mein Wesen ein, mir gefiel vieles mehr
als im vorigen Sommer, und ich wurde auf manches
aufmerksam, was ich damals nicht beachtet hatte.
Wir saßen zuweilen in dem freundlichen Zimmer

ſonderbar war es anzuſehen, wie er die Pflanzenzeich¬
nungen nicht als Pflanzenfreund und Kenner an¬
blickte, ſondern als Baumeiſter, der ihre Geſtalt ver¬
wenden kann. Er verſuchte ſpäter ſelber auch Zeich¬
nungen nach lebenden Pflanzen; aber hier trat der
Unterſchied von einem Pflanzenfreunde noch mehr
hervor: die Bilder wurden ihm allgemach durch un¬
merkliche Zuſäze aus Gewächſen ſchöne Verzierungen.
Er ſuchte ſich auch in der Regel ſolche Vorbilder aus,
die zu ſeinem Berufe in näherer Beziehung ſtanden,
oder in eine ſolche gebracht werden konnten. In Be¬
zug auf die anderen Dinge, die in dem Schreiner¬
hauſe gearbeitet wurden, zeigte er mir alles, und er¬
klärte mir manches, wenn ich nach Erklärung ver¬
langte. Auch hierin glaubte ich ſeit dem vorigen
Sommer Fortſchritte gemacht zu haben, namentlich,
da ich die Gegenſtände, die mein Vater beſaß, wohl
genau betrachtet und mir eingeprägt hatte, um ihre
Bilder hieher übertragen und mit dem, was ſich hier
befand, vergleichen zu können. Die Geſtalten gingen
jezt leichter in mein Weſen ein, mir gefiel vieles mehr
als im vorigen Sommer, und ich wurde auf manches
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Wir ſaßen zuweilen in dem freundlichen Zimmer

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[346/0360] ſonderbar war es anzuſehen, wie er die Pflanzenzeich¬ nungen nicht als Pflanzenfreund und Kenner an¬ blickte, ſondern als Baumeiſter, der ihre Geſtalt ver¬ wenden kann. Er verſuchte ſpäter ſelber auch Zeich¬ nungen nach lebenden Pflanzen; aber hier trat der Unterſchied von einem Pflanzenfreunde noch mehr hervor: die Bilder wurden ihm allgemach durch un¬ merkliche Zuſäze aus Gewächſen ſchöne Verzierungen. Er ſuchte ſich auch in der Regel ſolche Vorbilder aus, die zu ſeinem Berufe in näherer Beziehung ſtanden, oder in eine ſolche gebracht werden konnten. In Be¬ zug auf die anderen Dinge, die in dem Schreiner¬ hauſe gearbeitet wurden, zeigte er mir alles, und er¬ klärte mir manches, wenn ich nach Erklärung ver¬ langte. Auch hierin glaubte ich ſeit dem vorigen Sommer Fortſchritte gemacht zu haben, namentlich, da ich die Gegenſtände, die mein Vater beſaß, wohl genau betrachtet und mir eingeprägt hatte, um ihre Bilder hieher übertragen und mit dem, was ſich hier befand, vergleichen zu können. Die Geſtalten gingen jezt leichter in mein Weſen ein, mir gefiel vieles mehr als im vorigen Sommer, und ich wurde auf manches aufmerkſam, was ich damals nicht beachtet hatte. Wir ſaßen zuweilen in dem freundlichen Zimmer

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/360>, abgerufen am 22.07.2024.