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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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tadelt, daß das Bücherzimmer von dem Lesezimmer
abgesondert sei, es erschien mir dieses als ein Umweg
und eine Weitschweifigkeit. Da ich aber jezt länger
bei meinem Gastfreunde war, erkannte ich meine
Meinung als einen Irrthum. Dadurch, daß in dem
Bücherzimmer nichts geschah, als daß dort nur die
Bücher waren, wurde es gewissermaßen eingeweiht,
die Bücher bekamen eine Wichtigkeit und Würde,
das Zimmer ist ihr Tempel, und in einem Tempel
wird nicht gearbeitet. Diese Einrichtung ist auch eine
Huldigung für den Geist, der so manigfaltig in die¬
sen gedruckten und beschriebenen Papieren und Per¬
gamentblättern enthalten ist. In dem Lesezimmer
aber wird dann der wirkliche und der freundliche Ge¬
brauch dieses Geistes vermittelt, und seine Erhaben¬
heit wird in unser unmittelbares und irdisches Be¬
dürfniß gezogen. Das Zimmer ist auch recht lieblich
zum Lesen. Da scheint die freundliche Sonne herein,
da sind die grünen Vorhänge, da sind die einladenden
Size und Vorrichtungen zum Lesen und Schreiben.
Selbst daß man jedes Buch nach dem zeitlichen Ge¬
brauche wieder in das Bücherzimmer an seinen Plaz
tragen muß, erschien mir jezt gut; es vermittelt den
Geist der Ordnung und Reinheit, und ist gerade bei

tadelt, daß das Bücherzimmer von dem Leſezimmer
abgeſondert ſei, es erſchien mir dieſes als ein Umweg
und eine Weitſchweifigkeit. Da ich aber jezt länger
bei meinem Gaſtfreunde war, erkannte ich meine
Meinung als einen Irrthum. Dadurch, daß in dem
Bücherzimmer nichts geſchah, als daß dort nur die
Bücher waren, wurde es gewiſſermaßen eingeweiht,
die Bücher bekamen eine Wichtigkeit und Würde,
das Zimmer iſt ihr Tempel, und in einem Tempel
wird nicht gearbeitet. Dieſe Einrichtung iſt auch eine
Huldigung für den Geiſt, der ſo manigfaltig in die¬
ſen gedruckten und beſchriebenen Papieren und Per¬
gamentblättern enthalten iſt. In dem Leſezimmer
aber wird dann der wirkliche und der freundliche Ge¬
brauch dieſes Geiſtes vermittelt, und ſeine Erhaben¬
heit wird in unſer unmittelbares und irdiſches Be¬
dürfniß gezogen. Das Zimmer iſt auch recht lieblich
zum Leſen. Da ſcheint die freundliche Sonne herein,
da ſind die grünen Vorhänge, da ſind die einladenden
Size und Vorrichtungen zum Leſen und Schreiben.
Selbſt daß man jedes Buch nach dem zeitlichen Ge¬
brauche wieder in das Bücherzimmer an ſeinen Plaz
tragen muß, erſchien mir jezt gut; es vermittelt den
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[344/0358] tadelt, daß das Bücherzimmer von dem Leſezimmer abgeſondert ſei, es erſchien mir dieſes als ein Umweg und eine Weitſchweifigkeit. Da ich aber jezt länger bei meinem Gaſtfreunde war, erkannte ich meine Meinung als einen Irrthum. Dadurch, daß in dem Bücherzimmer nichts geſchah, als daß dort nur die Bücher waren, wurde es gewiſſermaßen eingeweiht, die Bücher bekamen eine Wichtigkeit und Würde, das Zimmer iſt ihr Tempel, und in einem Tempel wird nicht gearbeitet. Dieſe Einrichtung iſt auch eine Huldigung für den Geiſt, der ſo manigfaltig in die¬ ſen gedruckten und beſchriebenen Papieren und Per¬ gamentblättern enthalten iſt. In dem Leſezimmer aber wird dann der wirkliche und der freundliche Ge¬ brauch dieſes Geiſtes vermittelt, und ſeine Erhaben¬ heit wird in unſer unmittelbares und irdiſches Be¬ dürfniß gezogen. Das Zimmer iſt auch recht lieblich zum Leſen. Da ſcheint die freundliche Sonne herein, da ſind die grünen Vorhänge, da ſind die einladenden Size und Vorrichtungen zum Leſen und Schreiben. Selbſt daß man jedes Buch nach dem zeitlichen Ge¬ brauche wieder in das Bücherzimmer an ſeinen Plaz tragen muß, erſchien mir jezt gut; es vermittelt den Geiſt der Ordnung und Reinheit, und iſt gerade bei

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/358>, abgerufen am 22.07.2024.