Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

der Erde und Länder vor Augen hat, was ich auch
für einen Fehler halte, sondern wenn man auf die
bleibenden Gestaltungen der Erde sieht, auf denen
sich eben durch ihren Einfluß verschiedenartige Völker
gebildet haben, so ist die Erde ein Naturgegenstand,
und Erdbeschreibung zum großen Theile ein Bestand¬
theil der Naturwissenschaft. Die Naturwissenschaften
sind uns aber viel greifbarer als die Wissenschaften
der Menschen, wenn ich ja Natur und Menschen ge¬
genüber stellen soll, weil man die Gegenstände der
Natur außer sich hinstellen und betrachten kann, die
Gegenstände der Menschheit aber uns durch uns sel¬
ber verhüllt sind. Man sollte meinen, daß das Ge¬
gentheil statthaben solle, daß man sich selber besser
als Fremdes kennen solle, viele glauben es auch; aber
es ist nicht so. Thatsachen der Menschheit ja That¬
sachen unseres eigenen Innern werden uns, wie ich
schon einmal gesagt habe, durch Leidenschaft und
Eigensucht verborgen gehalten oder mindestens ge¬
trübt. Glaubt nicht der größte Theil, daß der Mensch
die Krone der Schöpfung, daß er besser als alles,
selbst das Unerforschte sei? Und meinen die, welche
aus ihrem Ich nicht heraus zu schreiten vermögen,
nicht, daß das All nur der Schauplaz dieses Ichs sei,

der Erde und Länder vor Augen hat, was ich auch
für einen Fehler halte, ſondern wenn man auf die
bleibenden Geſtaltungen der Erde ſieht, auf denen
ſich eben durch ihren Einfluß verſchiedenartige Völker
gebildet haben, ſo iſt die Erde ein Naturgegenſtand,
und Erdbeſchreibung zum großen Theile ein Beſtand¬
theil der Naturwiſſenſchaft. Die Naturwiſſenſchaften
ſind uns aber viel greifbarer als die Wiſſenſchaften
der Menſchen, wenn ich ja Natur und Menſchen ge¬
genüber ſtellen ſoll, weil man die Gegenſtände der
Natur außer ſich hinſtellen und betrachten kann, die
Gegenſtände der Menſchheit aber uns durch uns ſel¬
ber verhüllt ſind. Man ſollte meinen, daß das Ge¬
gentheil ſtatthaben ſolle, daß man ſich ſelber beſſer
als Fremdes kennen ſolle, viele glauben es auch; aber
es iſt nicht ſo. Thatſachen der Menſchheit ja That¬
ſachen unſeres eigenen Innern werden uns, wie ich
ſchon einmal geſagt habe, durch Leidenſchaft und
Eigenſucht verborgen gehalten oder mindeſtens ge¬
trübt. Glaubt nicht der größte Theil, daß der Menſch
die Krone der Schöpfung, daß er beſſer als alles,
ſelbſt das Unerforſchte ſei? Und meinen die, welche
aus ihrem Ich nicht heraus zu ſchreiten vermögen,
nicht, daß das All nur der Schauplaz dieſes Ichs ſei,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0356" n="342"/>
der Erde und Länder vor Augen hat, was ich auch<lb/>
für einen Fehler halte, &#x017F;ondern wenn man auf die<lb/>
bleibenden Ge&#x017F;taltungen der Erde &#x017F;ieht, auf denen<lb/>
&#x017F;ich eben durch ihren Einfluß ver&#x017F;chiedenartige Völker<lb/>
gebildet haben, &#x017F;o i&#x017F;t die Erde ein Naturgegen&#x017F;tand,<lb/>
und Erdbe&#x017F;chreibung zum großen Theile ein Be&#x017F;tand¬<lb/>
theil der Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft. Die Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften<lb/>
&#x017F;ind uns aber viel greifbarer als die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften<lb/>
der Men&#x017F;chen, wenn ich ja Natur und Men&#x017F;chen ge¬<lb/>
genüber &#x017F;tellen &#x017F;oll, weil man die Gegen&#x017F;tände der<lb/>
Natur außer &#x017F;ich hin&#x017F;tellen und betrachten kann, die<lb/>
Gegen&#x017F;tände der Men&#x017F;chheit aber uns durch uns &#x017F;el¬<lb/>
ber verhüllt &#x017F;ind. Man &#x017F;ollte meinen, daß das Ge¬<lb/>
gentheil &#x017F;tatthaben &#x017F;olle, daß man &#x017F;ich &#x017F;elber be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
als Fremdes kennen &#x017F;olle, viele glauben es auch; aber<lb/>
es i&#x017F;t nicht &#x017F;o. That&#x017F;achen der Men&#x017F;chheit ja That¬<lb/>
&#x017F;achen un&#x017F;eres eigenen Innern werden uns, wie ich<lb/>
&#x017F;chon einmal ge&#x017F;agt habe, durch Leiden&#x017F;chaft und<lb/>
Eigen&#x017F;ucht verborgen gehalten oder minde&#x017F;tens ge¬<lb/>
trübt. Glaubt nicht der größte Theil, daß der Men&#x017F;ch<lb/>
die Krone der Schöpfung, daß er be&#x017F;&#x017F;er als alles,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t das Unerfor&#x017F;chte &#x017F;ei? Und meinen die, welche<lb/>
aus ihrem Ich nicht heraus zu &#x017F;chreiten vermögen,<lb/>
nicht, daß das All nur der Schauplaz die&#x017F;es Ichs &#x017F;ei,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[342/0356] der Erde und Länder vor Augen hat, was ich auch für einen Fehler halte, ſondern wenn man auf die bleibenden Geſtaltungen der Erde ſieht, auf denen ſich eben durch ihren Einfluß verſchiedenartige Völker gebildet haben, ſo iſt die Erde ein Naturgegenſtand, und Erdbeſchreibung zum großen Theile ein Beſtand¬ theil der Naturwiſſenſchaft. Die Naturwiſſenſchaften ſind uns aber viel greifbarer als die Wiſſenſchaften der Menſchen, wenn ich ja Natur und Menſchen ge¬ genüber ſtellen ſoll, weil man die Gegenſtände der Natur außer ſich hinſtellen und betrachten kann, die Gegenſtände der Menſchheit aber uns durch uns ſel¬ ber verhüllt ſind. Man ſollte meinen, daß das Ge¬ gentheil ſtatthaben ſolle, daß man ſich ſelber beſſer als Fremdes kennen ſolle, viele glauben es auch; aber es iſt nicht ſo. Thatſachen der Menſchheit ja That¬ ſachen unſeres eigenen Innern werden uns, wie ich ſchon einmal geſagt habe, durch Leidenſchaft und Eigenſucht verborgen gehalten oder mindeſtens ge¬ trübt. Glaubt nicht der größte Theil, daß der Menſch die Krone der Schöpfung, daß er beſſer als alles, ſelbſt das Unerforſchte ſei? Und meinen die, welche aus ihrem Ich nicht heraus zu ſchreiten vermögen, nicht, daß das All nur der Schauplaz dieſes Ichs ſei,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/356
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/356>, abgerufen am 22.07.2024.